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Anti-Aggressions-Schlägerei

By 7. Februar 2011Allgemein

Heute berichte ich von einem Verfahren, das schon etliche Jahre her ist, aber zu meinen Lieblingsprozessen gehörte.

Schon der Anlass war spektakulär. Die beiden Mandanten (einer unter 18, einer knapp drüber) waren Teilnehmer bei einer großen Sportveranstaltung in Gladbeck: Dem „Anti-Aggressions-Fußballturnier“ der Polizei. Dummerweise eskalierte dieses Turnier und es kam gegen Ende zu einer handfesten und gar nicht anti-aggressiven Massenschlägerei zwischen den Teams.

Unsere beiden Jungs wurden nach einer Aussage des völlig überforderten Schiedsrichters, der mit 20 Augen ausgestattet war und daher jeden Winkel der Turnhalle gleichzeitig einsehen konnte, der gefährlichen Körperverletzung angeklagt. Da waren sie aber noch nicht unsere Mandanten. Sie hatten vielmehr gar keinen Anwalt. Das Gericht sah es auch nicht als notwendig an, die Jungs trotz ihres Alters und einer Anklage vor dem Jugendschöffengericht mit Pflichtverteidigern auszustatten.

In der Sitzung sagte der vieläugige Schiedsrichter als Hauptbelastungszeuge aus, nachdem die beiden Jungs die Dinge eher undramatisch geschildert hatten. Erst nach dieser Aussage besann sich das Gericht und war der Meinung, nun könnten doch harsche Strafen drohen und Pflichtverteidiger müssten her. Aber anstatt zunächst die Angeklagten zu fragen, zu welchen Verteidigern sie Vertrauen hätten und welchen sie sich aussuchen, wie es die Pflicht des Gerichts gewesen wäre, rief der Richter aus der Sitzung flugs zwei Anwälte seines Vertrauens an, die auch sofort zum Gericht eilten. Diese Anwälte kannten in diesem Augenblick weder ihre neuen Mandanten, noch den Fall, noch die Aussage der Mandanten, noch die Aussagen des Hauptbelastungszeugen. Sie besprachen die Sache noch nicht mal mit den eigenen Mandanten. Sie saßen schlicht neben ihnen. Aber man soll auch keinen unnötigen Wirbel veranstalten, wenn man will, daß der Richter einen in Zukunft nochmal aussucht und so zu einem kleinen Zubrot verhilft.

Ein paar Zeugen wurden noch vernommen, bis es dann die Urteile gab: 1 Jahr und 3 Monate Jugendstrafe! Zwar auf Bewährung, aber für jemanden ohne Vorstrafe ist das schon ziemlich außergewöhnlich.

Direkt nach diesem Urteil kamen die beiden dann zu uns. Ich (und auch mein Kollege) legten gegen das Urteil Revision zum Oberlandesgericht Hamm ein und wir monierten das Verfahren. Das OLG gab uns in jedem Punkt recht. Dem Amtsgericht wurde von den Hammer Richtern vor allem vorgeworfen, einfach einen Pflichtverteidiger selbst ausgewählt zu haben, anstatt mal vorher die zu fragen, die es betrifft. So steht es schließlich auch im § 142 der Strafprozessordnung. Und selbst wenn das in Ordnung gewesen wäre: Es kann nicht sein, daß ein Pflichtverteidiger das wesentliche eines Verfahrens nicht mitbekommt, nämlich die Anklageschrift, die eigene(!) Einlassung(!!) des eigenen(!!!) Mandanten(!!!!) und den Hauptbelastungszeugen. Wie kann man so nur verteidigen?? Auch deshalb wurde das Urteil durch das OLG aufgehoben.

Es kam zu einem neuen Verfahren vor dem Amtsgericht mit einer anderen Richterin und anderen Schöffen. Diesmal mit meinem Kollegen Dorka und mir als Verteidiger. Wieder kam es zu einer Verurteilung, diesmal aber „nur noch“ zu 9 Monaten Jugendstrafe auf Bewährung.

Leider mussten wir erneut Revision einlegen, denn einverstanden waren weder die Mandanten noch wir mit diesem Urteil. Wieder kam die Sache zum OLG Hamm und wieder wurde das Urteil aufgehoben. Das OLG Hamm (3 Ss 194/05) war mit uns der Ansicht, daß die Annahme einer gefährliche Körperverletzung in diesem speziellen Fall doch etwas zu weit gehen würde. Außerdem hat das Gericht vergessen festzustellen, ob der noch unter 18-jährige Täter überhaupt für sein Tun verantwortlich ist, § 3 Jugendgerichtsgesetz.

Und wieder kam es zur Verhandlung vor dem Amtsgericht. Amtsgericht, die Dritte. Wieder ein neuer Richter und dieser hatte wohl keine Lust mehr auf weiteren Streß, so daß wir uns in wenigen Minuten darauf einigten, das Verfahren einzustellen und den Deckel auf die Sache zu machen.

Nach zwei Jahren dann also doch ein juristisch gutes Ende des Falles und ein Denkzettel für das Gericht. Menschlich nachvollziehbar ist es zwar, daß Richter die Anwälte in ihren Sitzungen haben wollen, die am besten still sind oder idealerweise noch die eigenen Mandanten maßregeln. Rechtsstaatlich ist dies jedoch nicht.