Mit Fug und Recht kann ich behaupten, jede Perspektive in einem Strafprozess schon selbst einmal erlebt zu haben. In der Ausbildung lernt man die Richterbank kennen und darf auch mal eine Vernehmung führen. Referendare werden in kleinen Strafsachen gerne als Staatsanwälte eingesetzt, dieses Vergnügen hatte ich seinerzeit in der Referendarausbildung auch. Sogar Angeklagter war ich schonmal, genauer „Betroffener“, wie es im Ordnungswidrigkeitenverfahren heisst, weil ich angeblich mit dem Auto zu schnell unterwegs gewesen sein soll. Das weise Amtsgericht entschied jedoch auf Freispruch. Sehr zurecht!
Aber die unangenehmste Rolle, die ich miterleben durfte, ist die des Zeugen. Als Zeuge ist man (in der Regel) ohne Hilfe und kann regelrecht auseinander genommen werden. Klar gibt es die schauspielernden Zeugen, die bewusst falsch aussagen und das auch gerne mal mit Emotionsausbrüchen zu unterstreichen versuchen. Die meine ich dabei nicht. Denn wenn man etwas aus eigener, ehrlicher Erinnerung schildern soll und darum weiß, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen, wenn man etwas falsches sagt, dann ist es eher unlustig.
Schon ein paar Mal war ich selbst im Zeugenstand. Einmal sogar in einem Strafprozeß, in dem ich höchstselbst das Opfer war. Man hat mir in der Kanzlei, in meinem Büro und während einer Beratung das Mobiltelefon geklaut. Der Dieb war in diesem Augenblick zwar nicht der ratsuchende Mandant, aber dessen selbst mitgebrachter Dolmetscher. Der war aber auch Mandant von mir. Dumm von mir, dass ich das Telefon vertrauensselig habe auf dem Tisch liegen lassen. Dumm von dem Täter, dass ich wusste, wer es war. Da ich aber schon von Berufs wegen ein Problem mit Bestrafung habe, griff ich meinerseits nicht zum Strafantrag, sondern erstmal zum Telefon (Festnetz, denn das andere war ja weg), rief den Täter an und bat ihn, mir das Telefon zurückzubringen, welches er versehentlich eingesteckt habe. Dann wäre die Sache für mich erledigt. Der gemeine Dieb sagte sogar zu, noch am Abend vorbeizukommen, aber er kam nicht. Vermutlich war das Telefon schon längst versetzt. Am nächsten Tag rief ich nochmal an und diesmal wollte er von nichts wissen, war sogar recht pampig, so dass ich ihn dann doch anzeigen musste.
Monate später fand ich mich dann als Zeuge vor Gericht wieder. Nervös wie ein Referendar, der zum ersten Mal vor Gericht auftritt und bemüht, die Gedanken und Erinnerungen zu ordnen und nichts zu dramatisieren. Letzteres fällt schwer, wenn man selbst betroffen ist. Schon ein seltsames Gefühl, wenn man von mindestens drei Personen befragt wird und so im Zentrum des Interesses steht.
An die genaue Strafe erinnere ich mich nicht mehr. Es waren jedenfalls mehrere Taten, derer er angeklagt war und die schließlich zu mehr als zwei Jahren Haft geführt haben. Befriedigend empfand ich die Verurteilung allerdings nicht. Das einzig positive war meine Erfahrung aus der Zeugenposition, die mir heute manchmal ermöglicht, mich in diese Rolle hineinzudenken.