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Befangenheitsanträge und Respektlosigkeiten

By 8. April 2011Allgemein

Gestern habe ich in einer Sache verteidigt, in der ich nicht wusste, worum es geht. Warum? Weil ich die Akte nicht kannte. Warum? Weil sie mir vom Gericht nicht geschickt wurde. Warum? Weil ich keine Vollmachtsurkunde zum Gericht geschickt hatte. Warum? Weil ich es nicht muss.

Es ist ein altes Ärgernis unter StrafverteidigerInnen. Man muss weder der Staatsanwaltschaft noch dem Gericht eine schriftliche Vollmachtsurkunde schicken, wenn man sich in einem Fall bestellt. Eine alte, alte Weisheit. Man kann natürlich eine Vollmachtsurkunde schicken, muss es aber nicht. Es gibt manchmal gute Gründe, die dafür sprechen; es gibt manchmal welche, die dagegen sprechen und manchmal ist es auch völlig egal. Aber man muss es nicht. Man muss es nach der Rechtsprechung nur dann, wenn es begründete Zweifel gibt, daß man der Verteidiger ist. Zum Beispiel, wenn schon ein anderer Verteidiger in der Sache drin ist und man neu beauftragt wurde. Es gibt bestimmte Verfahren (Verwaltungsrecht, Sozialrecht, Verfassungsbeschwerdeverfahren), dort muss man Vollmachten vorlegen. Im Strafrecht ist es ganz eindeutig so: Man muss es nicht. Man kann. Es gibt hierüber immer wieder Streit, aber immer nur diese eine Antwort. Man kann. Mittlerweile berichtet sogar ein eigener Blog des Kollegen Melchior über diese nervende Thematik.

Nun habe ich mich in diesem Fall dafür entschieden, keine Vollmacht zu übersenden. Aus Gründen. Die Reaktion des Gerichts: Dann bekomme ich auch keine Akteneinsicht. Beziehungsweie bekomme ich sie nur zum Hereinschauen im Büro des Richters; herausgeschickt, wie sonst immer, wird die Akte nicht.

VerteidigerInnen, die so verfahren wie ich, bekommen dann in geschätzt jedem vierten Fall eine Mitteilung, man solle doch erst die Vollmacht vorlegen, dann bekäme man auch die Akte. Daraufhin schreibt man in einem Textbaustein zurück, daß man das nicht braucht und verweist zum Nachweis auf die Fundstellen in der Literatur. Danach bekommt man die Akte.

Nicht so in meinem Fall. Und in zwei weiteren bei dem selben Gericht. Ich bekomme sie einfach nicht. Trotz heftigster Schilderung von Argumenten meinerseits, daß ich im glasklaren Recht bin. Das Gericht blieb hart.

Nun könnte ich natürlich auch die Vollmacht, die ich ja in meiner Akte habe, dem Gericht schicken und der Fall wäre erledigt. Aber so einfach ist das auch nicht. Zum einen gibt es eben Gründe dafür, daß man die Vollmacht nicht bei der Akte haben will. Wenn in der Gerichtsakte eine Vollmacht ist, so knüpfen sich hieran bestimmte Rechtsfolgen, die später einmal von Vor- oder Nachteil für den Mandanten sein können. Aber letztlich geht es hier gar nicht drum. Ich mag es nicht, wenn ich mir vorschreiben lassen muss, was ich zu tun und zu lassen habe. Solange mein Handeln innerhalb der Spielregeln der Strafprozeßordnung liegt, obliegt es der gemeinsamen Entscheidung von mir und dem Mandanten, wie wir uns in welcher Situation auch immer verhalten. Hier hat sich schlicht niemand einzumischen.

Da ich nicht ohne Akte verteidigen kann und möchte, riet ich dem Mandanten sehr bewußt zum Befangenheitsantrag. Wir lehnten den Richter also in der Sitzung wegen „des Besorgnisses der Befangenheit“ ab. Vorbereitet hatte ich einen Antrag, dessen Verlesung mehr als 30 Minuten dauerte.

Befangenheitsanträge stellt man nicht so einfach. Denn die Stimmung bei Gericht kann dann auch in anderen Fällen vergiftet werden. Es ist also sozusagen die ultima ratio, das letzte Verteidigungsmittel. Das, welches man einsetzt, wenn das Faß zum Überlaufen gekommen ist. Und das war hier soweit. Und doch bleibt auch der Befangenheitsantrag ein Recht. Ein Recht des Angeklagten, das er jederzeit einsetzen kann, wenn es ihm legitim erscheint und wodurch er keinen Nachteil erleiden soll und darf. Da über Befangenheitsanträge allerdings die eigenen KollegInnen am selben Gericht erscheinen, sind sie zunächst meist fruchtlos. Denn die RichterInnen haben im Allgemeinen nicht den Mut, ihren KollegInnen Fehler zu attestieren. Denn auch hier gilt: Man muss sich morgen wieder in die Augen schauen dürfen. Also wird es nach der zu erwartenden Ablehnung des Antrags weiter mit dem alten, dem befangenen Richter weitergehen. Das allerdings kann man in der Revision angreifen. Mit ungewissem Ergebnis, jedoch halte ich den gestern gestellten Antrag für außerordentlich fundiert.

Was mir in der Sitzung und auch noch danach fast die Schuhe ausgezogen hat, war das Verhalten der übrigen Prozeßbeteiligten. Während ich meinen Vortrag hielt, der natürlich allen anderen unangenehm war, verdrehten Staatsanwältin und Nebenklägeranwalt nicht nur die Augen. Danach wurde wild und nicht gerade leise getuschelt. Schließlich, in der dritten Eskalationsstufe schoben sich die beiden ein Blatt Papier hin und her und machten Kreuze. Sie spielten Tic-Tac-Toe oder „Schiffe versenken“ oder was auch immer.  Es ist schlicht nicht zu fassen. Diese Art von „Humor“ würde man allenfalls Schülern zutrauen, aber auch nur den jüngeren. Eine Respektlosigkeit sonder gleichen und ein Beleg dafür, wie die Staatsanwaltschaft der Ausübung von Rechten der Verteidigung gegenübersteht.

In der Stellungnahme nach dem Antrag sagte die Staatsanwältin, von der ich nicht weiß, ob sie oder der Nebenklägeranwalt das Spiel gewonnen hat, sinngemäß, ihr würden die Worte zu diesem unverschämten Antrag fehlen. Sie würde sich extra einer Aussage enthalten, da sie meine Eskalation(!) schon für ungebührlich in einer Jugendstrafsache halten würde. So etwas habe sie noch nie erlebt.

Tja. Ich auch nicht. In jederlei Hinsicht. Ich bin regelrecht enttäuscht von dem gesamten Verhalten, welches wir hier erdulden mussten. Und das nur, weil ich nicht so verteidige, wie das hohe Gericht es wünscht.

To be continued. Zur nächsten Verhandlung in diesem Fall werde ich anregen, daß die Staatsanwaltschaft ein Treckerquartett mitbringt.