Wir befinden uns in einer Verhandlung vor dem Landgericht. Der Mandant ist geständig, es geht lediglich um die Höhe der Strafe. Für die Höhe der Strafe ist die strafrechtliche Karriere eines Angeklagten nicht ganz unwichtig. Deshalb war es für uns ein besonderes Pfund, dass der Mandant nicht vorbestraft war.
Für die Prüfung der Vorstrafen gibt es das Bundeszentralregister, so eine Art Flensburger Sündenkartei für Vorstrafen. Dieses teilte in unserem Fall mit: „Keine Eintragungen.“ Das ist übrigens nicht nur der Fall, wenn wirklich noch nie etwas gewesen ist, sondern auch dann, wenn uralte und weniger wichtige Eintragungen etwa aus der Jugendzeit gelöscht werden. Denn es gibt schließlich so etwas wie einen Resozialisierungsgedanken; der soll dazu führen, dass man nicht ein Leben lang eine relativ unbedeutende Jugendsünde mit sich herumschleppen muss. Geregelt ist das im Bundeszentralregistergesetz, wo es ab § 45 in etwa heisst, dass „kleinere Sachen“ nach fünf Jahren aus dem Register getilgt werden und größere, vor allem Sexualstraftaten erst nach zwanzig Jahren. Auch wird eine alte Sache nicht getilgt, wenn in der Zwischenzeit eine neue Straftat hinzu kommt. Wenn also jemand regelmäßig aktiv wird, kann sein Register ziemlich voll von alten Eintragungen sein. Wird aber getilgt, muss ein Jahr danach auch eine Eintragung gelöscht werden. Das Register ist dann „sauber“.
Nun habe ich in der Verhandlung aus Gründen öfters einfliessen lassen, dass mein Mandant auch „sauber“ in diesem Sinne ist. Und was tut die Staatsanwältin? „Ich möchte an den Angeklagten noch eine Frage stellen“ – „Tun Sie das.“ – „Sind Sie wirklich nicht vorbestraft? War da nicht im Jahr 2000 mal etwas? Erinnern Sie sich?“ und lacht dabei süffisant.
Was mich naturgemäß auf die Palme bringt. Der Mandant ist empört, weil er -so sagt er- nichts von einer Verurteilung weiß. Ob es wirklich eine gibt, ist mir allerdings egal. Denn mich empört allein die Frage. Abgesehen davon, dass eine derart alte Vorstrafe (angeblich wegen Diebstahls) längst hätte gelöscht sein müssen und ich sicherlich die Frage aufgreifen werde, wo diese Information herkommt: Allein die Fragestellung führt zu einer unzulässigen Beeinflussung des Gerichts. Natürlich werden die Richter und Schöffen der ehrbaren Frau Staatsanwältin schon glauben. Auch wenn die Vorsitzende Richterin als Reaktion auf meine Empörung und Beanstandung dieser Frage behauptet, eine etwaige frühere Verurteilung sei mangels Verwertbarkeit für das Gericht nicht von Interesse – ob das die Schöffen so unbeeinflusst lässt, wenn jemand doch schon mal mit dem Gesetz in Konflikt kam? Durch die Frage ist es in den Köpfen und da bekomme ich es nicht mehr raus. Die Frage ist daher nicht nur höchst unzulässig, sondern regelrecht eine Frechheit, da sie vollendete Tatsachen schafft, zumindest in den Köpfen, aber die Köpfe entscheiden schließlich (sofern die Schöffen bei der Entscheidung wirklich mitentscheiden).
Alles in allem eine sehr unerfreuliche Angelegenheit. Die Reaktion der Staatsanwältin lautete übrigens: „Ihr Mandant braucht die Frage ja nicht zu beantworten.“ Aha. Ich werde das zum Anlass nehmen, um mal zu erfahren, wer in der betreffenden Staatsanwaltschaft Datenschutzbeauftragter ist. Und mitzuhelfen versuchen, dass solche Fragen nicht mehr gestellt werden.