Der in meiner inoffiziellen Statistik für die Begründung eines Haftbefehls am meisten genannte Grund ist der der „Fluchtgefahr“. Um in Untersuchungshaft genommen zu werden, bedarf es nicht nur des sogenannten dringenden Tatverdachts, sondern auch eines Haftgrunds. Die Kollegen Udo Vetter und Carsten Hoenig berichteten in den letzten Tagen in ihren Blogs über solche Fälle, die im Kanzleialltag nahezu täglich vorkommen.
In meiner anderen inoffiziellen Statistik ist die sogenannte Fluchtgefahr nur ein Mythos, um Beschuldigte vorschnell und vor einer rechtskräftigen Bestrafung zu inhaftieren und damit faktisch zu bestrafen. Oder um sich eben Arbeit zu ersparen. Gerade in großen Betrugssachen mit tausenden Einzelfällen erlebe ich schablonenartig die plötzliche Verhaftung von Mandanten, denen dann in Aussicht gestellt wird, bei einem Geständnis sofort oder spätestens im Hauptverhandlungstermin entlassen zu werden. Die Alternative für die Justiz wäre in diesen Fällen die akribische Aufarbeitung jedes einzelnen der tausenden Fälle, falls der Angeklagte schweigt oder bestreitet.
Rein praktisch liegen die Fälle, in denen sich eine Fluchtgefahr in meiner täglichen Arbeit realisiert haben, im minimalen Promillebereich. Klar bleibt die Anklagebank ab und zu mal leer. Aber das sind meist die Fälle, in denen die Angeklagten aus Unzuverlässigkeit fern bleiben. Man könnte sie meist schlicht zuhause abholen (lassen).
Im Gegenteil: Je höher die Straferwartung ist, desto zuverlässiger nehmen die Angeklagten diese Termine vor Gericht auch wahr, zumeist sehenden Auges einer Verurteilung entgegen. In Fällen, in denen es um wirklich hohe Strafen ging und die Mandanten wie durch ein Wunder nicht inhaftiert waren -oder es wegen erfolgreicher Haftbeschwerden nicht mehr waren-, löst sich die so oft behauptete Fluchtgefahr in Luft auf.
Auch Staatsanwaltschaften und Haftrichter müssten so etwas wissen. Daher bin ich fest davon überzeugt, dass die Untersuchungshaft rein praktisch in vielen Fällen andere Zwecke verfolgt, als die, die das Gesetz dafür vorsieht. Nicht umsonst gibt es den Spruch, der auch gerne von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten informell zitiert wird: U-Haft schafft Rechtskraft.