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Vertraulichkeit kennt keine Grenzen

By 10. August 2011Allgemein

Gegen einen Mandanten wird wegen einer (neuen) Straftat im Knast ermittelt. Es ging um eine Auseinandersetzung mit einem Mitgefangenen. Die Sache kommt auch zur Anklage – ich bin nun Verteidiger, bekomme die Ermittlungsakte und schicke dem Mandanten -wie üblich- eine komplette Kopie meiner Kopie.

Der Mandant bekommt nun genau deshalb plötzlich Ärger: Man droht ihm ein knastinternes Disziplinarverfahren an, weil er in seiner Zelle Unterlagen aufbewahrt, die datenschutzrechtliche Belange anderer verletzen würden. Genau genommen geht es um Blätter aus der Akte, aus denen genau hervorgeht, aus welchen delikaten Gründen der Kontrahent der Auseinandersetzung einsitzt. Das sei eine Verletzung des Datenschutzes und er, der Mandant, müsste sich dafür verantworten.

Zunächst mal ein dumpfes Gefühl, wenn hier jemand aufgrund meines Verhaltens Ärger bekommt. Habe ich einen Fehler gemacht? Nein, ich glaube eher, insoweit alles richtig gemacht zu haben. Was wirft die JVA hier vor? Sie selbst hat diese Blätter im Rahmen der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft gegeben. Auch daraus hat sich ein Verfahren entwickelt, das zu bösen Konsequenzen für den Mandanten führen kann. Und selbstverständlich hat ein Beschuldigter immer den vollständigen Informationsanspruch auf sein eigenes Verfahren. Dass da Belange Dritter betroffen sein können: Ja. Aber das interessiert nicht wirklich. Er ist damit ja auch nicht hausieren gegangen, sondern hatte es nur -offen- in seiner Einzelzelle liegen. Wenn es so schützenswürdige Infos sein sollen, dann gebt sie einfach selber nicht weiter, JVA!

Junge KollegInnen oder ReferendarInnen fragen mich gelegentlich, wie es denn sei, wenn man bei einer Akteneinsicht entdeckt, dass der Mandant gesucht wird, etwa mit einem Haftbefehl – ob man das dann dem Mandanten sagen darf. Man darf nicht. Man muss! Denn würde ich auch nur einen Krümel aus der Akte verheimlichen, bin ich nicht mehr der allein dem Mandanteninteresse untergeordnete Parteivertreter. Zum Glück bin ich in einem Verfahren der einzige (offiziell) so richtig parteiische Teilnehmer (inoffiziell ist die Staatsanwaltschaft leider auch parteiisch). Ok, ein Krümel ist praktisch egal, aber gerade existentielle Sachen müssen einfach weitergegeben werden. Man muss es ja nicht mit dem Beisatz verbinden: „Hier ist ein Haftbefehl. Sieh zu, dass Du Land gewinnst„, sondern „Lass uns schnell überlegen, was wir dagegen tun können.“

Deshalb irritiert mich, wenn man dem Mandanten nun vorwirft, er sei im Besitz der gegen ihn vorliegenden Unterlagen. Ich denke eher, die JVA stellt nun fest, dass ihre Unterlagen fröhlich in zig Hände wandern, wenn man sie mal herausgibt. Und das scheint sie zu wurmen.