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Sicherheit vs. Öffentlichkeit

By 12. Januar 2012Allgemein

Nachdem gestern am Amtsgericht Dachau ein Staatsanwalt erschossen wurde, beginnt eine Diskussion um die Sicherheit in Gerichtsgebäuden. Diese Diskussion überrascht etwas, zumindest aus nordrhein-westfälischer Sicht. Denn in NRW gleichen die allermeisten Gerichtsgebäude schon lange dem Sicherheitstrakt eines Flughafens. Noch vor ein paar Wochen hatte ich einen Termin in Passau und wunderte mich, dass -ausgerechnet in Bayern- überhaupt keine Eingangskontrolle vorgenommen wurde. Man konnte das Gerichtsgebäude problemlos und ohne sich durchsuchen zu lassen betreten. Gleiches habe ich auch in anderen Bundesländern erlebt. In NRW und insbesondere in meinem OLG-Bezirk (Hamm) wurden Schleusensysteme bereits Ende der 1990er Jahre eingeführt, nachdem am Amtsgericht Essen ein Richter in seinem Büro von einem Mann, der er Jahre zuvor mal in einer völlig unbedeutenden Bußgeldsache verurteilt hatte, erschossen wurde. Im Prinzip seitdem ist das Betreten eines Gerichtsgebäudes „einfach mal so“ nicht mehr möglich. Zumindest muss man als Besucher Zeit und Geduld mitbringen.

Warum sollte man auch „einfach mal so“ ins Gericht gehen, könnte man fragen. Weil Gerichtsverhandlungen in der Regel öffentlich sind. Prinzipiell und aus guten historischen Gründen kann jede Bürger eben „einfach mal so“ schauen, was und wie gerade so verhandelt wird. Rein praktisch macht davon kaum jemand Gebrauch. Wenn nicht gerade eine populäre, weil presseträchtige Sache verhandelt wird, finden sich auf den Zuschauerbänken allenfalls Angehörige von Angeklagten und Zeugen wieder. Früher wärmte sich auch mal der ein oder andere Obdachlose im Saal auf (und bekam dadurch ein profundes Wissen des Verfahrensrechts, das so manchem Studierenden überlegen war), ab und zu mal eine Rentnerin oder ein Rentner. Heutzutage sind die Bänke jedoch meist leer. Was schade ist, denn wenn man nichts zu tun hat und die Alternative „Fernsehen“ lautet, dann empfehle ich allen, stattdessen mal einen lustigen Tag bei Gericht zu verbringen. Wenn ich selbst in fremden Städten auf meine eigenen Verhandlungen warte, schaue ich mir in anderen Sälen auch an, mit welchem Wasser meine Kollegen so kochen…

Nun beißt sich das Öffentlichkeitsprinzip durchaus mit dem Sicherheitsbedürfnis. Auch aus meiner Sicht gebührt der Sicherheit der Vorzug; auch ich habe schon an Verhandlungen teilgenommen, bei denen die Angeklagten nicht gerade Sympathieträger waren und der eine oder die andere aus dem Publikum Groll gegen meine Mandanten hegte. Da ist es schon besser, wenn man weiß, dass zuvor eine ordentliche Waffenkontrolle durchgeführt wurde. Manche Gerichte schotten sich indes vollkommen ab. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zum Beispiel. Will man dort eintreten, wird man regelrecht ausgefragt, wer man sei und wo man hinwolle. Auf einer Terminliste wird dann abgehakt, dass man da ist. Wenn nun neutrale Zuschauer hereinkommen sollten, dann wird diesen gegenüber vermutlich zunächst Argwohn gehegt und so lange nach den Motiven gefragt, bis diese keine Lust mehr haben, zu bleiben. Ich erinnere mich an eine Verhandlung, die für NRW-Verhältnisse sehr spät angesetzt war, etwa gegen 16 Uhr. Da war schon niemand mehr an der Pforte. Ich musste an einer Türklingel klingeln und warten. Dann öffnete sich ein Fenster an einem Saal, ich wurde erkannt und es kam jemand zum Öffnen („komme gleich“). Danach wurde wieder verschlossen. Nachdem das Verfahren dann verloren ging, stellte ich einen Antrag auf Zulassung der Berufung mit dem Argument, dass die Öffentlichkeit nicht gewährleistet gewesen sei, denn niemand käme auf die Idee, die Klingel des Gerichts zu betätigen, wenn an der Pforte keiner mehr sei. Abgesehen davon wäre auch nicht geöffnet worden, denn alle Parteien waren ja da. Aber nicht nur das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen schottet sich so ab, sondern auch die gesamte Verwaltungsgerichtsbarkeit, denn mein Antrag wurde natürlich abgelehnt. Sei alles so in Ordnung.

Ich weiß, es ist schwierig, eine vernünftige Balance zwischen Sicherheitskontrollen und reibungslosem Zugang zu finden – gerade, wenn der Staat am Personal spart. Aber schön wäre es, wenn man sich bemühte, diesen Ausgleich zu finden.