Es geschah im Oktober in der Halbzeit des Spiels Schalke 04 – Kaiserslautern. Der Fernsehsender Sky hatte schon in der Woche zuvor ständig die Werbetrommel für seine samstägliche Diskussionsrunde gerührt, die stets das Abendspiel begleitet. Sky wusste schon im Vorfeld die Pikanterie zu betonen: Doktor Markus Merk, eine persona non grata auf Schalke, war seit Saisonbeginn Teil dieser Diskussionsrunde und begab sich nun erstmals seit seiner grauenvollen Fehlentscheidung zugunsten eines Münchener Vereins im Jahre 2001, der die damals verdiente Meisterschaft der glorreichen Schalker verhinderte, auf Schalker Boden. Seit damals pfiff er nie mehr ein Spiel mit Schalker Beteiligung. Aus Sicherheitsgründen. Für seine Gesundheit und die der Zuschauer (Blutdruck).
Es war klar, dass Merk nicht willkommen ist. Auch die gierige Boulevardpresse befeuerte das Thema, wo sie nur konnte. Und so setzte man den Merk mit seinen Kollegen unmittelbar an die Eckfahne, unweit der Zuschauer. Aufgebrachte Sprechchöre, eine sichtbar nervöse Talkrunde, fliegende Biere und ein Wachdienst, der die Schirme aufspannen musste, waren die Folge.
Und dann flog da noch eine Miniatur-Billardkugel. Aus den Zuschauerrängen in Richtung von Merk, sie verfehlte ihn allerdings und traf, wenn ich mich noch recht an die Bilder erinnere, den Tisch. Jetzt, da die Boulevardpresse ihr Ziel erreicht hat, drehte sie ihr Fähnchen mit dem Wind und echauffierte sich mit aller Medialgewalt über diesen Kugelwurf. Der Mann hielt dem Druck wohl nicht Stand und stellte sich kurze Zeit nach Beginn des Mediengewitters freiwillig der Polizei.
Es folgte das Strafverfahren, das nun erstinstanzlich in der vergangenen Woche mit dem Schuldspruch endete. Das Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer entschied auf versuchte, gefährliche Körperverletzung und eine Haftstrafe von 6 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Als weitere Bewährungsauflage gab es eine Geldbuße von 1800 € sowie ein Stadionverbot von drei Jahren.
Seitdem bin ich von vielen, insbesondere vielen Schalkern gefragt worden, ob das Urteil nicht zu heftig ausgefallen ist. Zunächst: Ich habe in der Sache nicht verteidigt und nehme meine Erkenntnisse nur aus der Presse, deshalb ist es eine vorsichtige Einschätzung. Aber ich habe auch den Luxus, nicht als Verteidiger in dieser Sache zu sprechen. Deshalb komme ich im Ergebnis zu der Einschätzung, dass das Urteil schon recht hart, aber letztlich durchaus noch vertretbar ist.
Der Wurf eines Schlüsselanhängers mit einer zwar kleinen, aber vermutlich massiven Billardkugel auf einen Menschen ist eine gefährliche Körperverletzung. Das bedeutet nach § 224 StGB schon eine Mindeststrafe von sechs Monaten Haft. Da die Tat nur ein Versuch ist, wird der Mindeststrafrahmen nach § 49 StGB zwar auf Geldstrafe gedrückt, aber dennoch ist die Strafandrohung schon recht ordentlich – sie reicht bis 7 Jahre und 6 Monaten beziehungsweise 3 Jahren und 9 Monaten, selbst wenn man von einem minderschweren Fall ausgehen würde. Zentral für die Findung der Strafhöhe wäre für mich der Aspekt der abstrakten Gefährlichkeit des Wurfgeschosses. Die Einschätzung des Urteils steht und fällt natürlich mit der mir nicht bekannten Eigenschaft dieser Kugel. Ich gehe aber davon aus, dass es sich um eine „harte“ Kugel handelt – ein tischtennisballartiges Geschoß würde wohl eher nicht so weit fliegen. Da wird man im Gerichtssaal schlauer gewesen sein. Unterstellt man also eine harte Kugel und trifft eine solche Kugel aus ansehnlicher Entfernung geworfen eine Person tatsächlich und dann noch am Kopf, kann dies schlicht schlimme Folgen haben. Es macht einen Unterschied, ob jemanden eine geworfene Banane trifft, ein Fussball oder eben eine feste Mini-Billardkugel. Ich halte diese Art von Wurfgeschoss trotz ihrer Größe in ihrer Wirkung für so gefährlich, dass man eine kleine Bewährungsstrafe auch im Versuchsstadium sicherlich rechtfertigen kann. Es ist letztlich ein Grenzfall, ob man zu einer fetten Geldstrafe, also in etwa drei bis sechs Monatsnettogehältern gelangt oder zu einer relativ kleinen Bewährungsstrafe von sechs Monaten. Die Geldbuße in der Bewährungsauflage ist normalerweise auf etliche Raten gestreckt, so dass sie monatlich nicht sehr erheblich ausfallen dürfte. Das Stadionverbot würde in dieser Sache sicher auch vom Verein ausgesprochen werden. Allein eine Ausdehnung des Stadionverbots auf drei Jahre anstatt auf „lediglich“ zwei ist etwas sehr übertrieben. Da das Stadionverbot mutmaßlich ohnhehin ausgesprochen worden wäre, halte ich das Gesamtpaket zwar für individuell hart (unterstellt, der Werfer war bislang nicht vorbestraft), aber nicht für unvertretbar hart. Und das auch unter der Berücksichtigung der Selbststellung bei der Polizei, dem medialen Interesse an der Tat und letztlich des Umstandes, dass der Boulevard diese Tat regelrecht herbeigeschrieben hat (das Gericht würdigte laut Pressenotiz tatsächlich das provozierende Verhalten des Fernsehsenders Sky). Aber: Man wirft keine Billardkugeln auf Menschen. Auch keine Miniaturen.
Verteidigerinnen und Verteidiger, die das Gebahren am Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer kennen, müssen sogar fast zu dem Ergebnis kommen, dass das Urteil für Bueraner Verhältnisse vergleichsweise milde ausgefallen ist. Buer ist über die Grenzen dafür bekannt, dass dort teilweise unfassbar harte Urteile gefällt werden, die allerdings in der Berufungsinstanz in der Regel immer wieder kassiert und gekappt werden. Ich richte meine Mandanten vor jedem Gang nach Buer darauf ein, dass sie völlig unverhältnismäßig hart bestraft werden (gerne auch mal das Doppelte der Forderung der Staatsanwaltschaft) und sich das bitte nicht zu Herzen nehmen sollen – das ist normal in Buer und das Landgericht würde dann im Berufungsverfahren zu einer halbwegs angemessenen Entscheidung kommen. Darauf kann man sich in der Regel auch verlassen. Wenngleich es ärgerlich ist (aber auch eine Einnahmequelle für den Berufungs-Verteidiger). Gemessen an diesen Maßstäben ist das Billardkugel-Urteil regelrecht milde.
Ich würde dennoch eine Berufung zumindest ernsthaft erwägen, denn auch ein milderes Urteil (also eine etwas heftigere Geldstrafe) wäre sicher genau so vertretbar wie dieses Urteil. Eine weitere Alternative für den Werfer wäre es, das Urteil zunächst zu akzeptieren und einige Zeit Gras über die Sache wachsen zu lassen. Wenn dann im Laufe der Zeit nichts weiter vorgefallen ist, könnte der Antrag gestellt werden, die Bewährungsauflagen nachträglich abzuändern (§ 56e StGB). So könnte man es erreichen, dass das lästige Stadionverbot auf ein vernünftiges Maß und ohne mediale Aufmerksamkeit wieder reduziert wird – was allerdings voraussetzt, dass der Verein nicht sowieso ein längeres Stadionverbot ausgesprochen hat beziehungsweise zu so einem Schritt ebenfalls bereit wäre.