Heute berichte ich mal über den Fortgang einer Sache, über die ich schon in der Vergangenheit bloggte. Mache ich ja viel zu selten – Gründe dafür sind Vergeßlichkeit und die Unlust über Dinge zu schreiben, bei denen ich große Töne spucke und dann die Justizfaust ins Gesicht bekomme. Über erfreuliche Dinge schreibt sich’s halt leichter.
Ausgangspunkt war ein Minderjähriger, der noch nichts mit der Polizei zu tun hatte (und danach bis heute auch nicht mehr), dem eine „übliche“ Beleidigung vorgeworfen wurde. Beim Amtsgericht war er ohne Anwalt und kassierte eine satte Woche Jugendarrest. Zu mir kam er dann in der ständigen Angst, jederzeit abgeholt werden zu können. Er war wirklich heftigst getroffen von diesem Urteil. Das Urteil war und ist ein Skandal. Man sperrt niemanden für eine Beleidigung ein. Und erst recht niemanden, der noch nie eine Fliege totgeschlagen hat. Begründet wurde dieses Urteil mit den großartigen pädagogischen Instrumenten im Jugendarrest. Kein Gedanke daran, wie es bei einem Jugendlichen psychologisch ankommt, wenn dieser für eine Woche eingesperrt werden soll – der einfach Angst hat, wie ich es auch hätte.
Wir legten also Berufung ein. Normalerweise bedeutet dies, dass beim Landgericht nochmals alles aufgerollt wird. Nicht so aber im Jugendstrafrecht, worauf ein Kommentator damals schon hier im Blog zu recht hinwies. Denn der § 55 JGG steht dem entgegen. Danach soll ein Urteil eines Jugendrichters nicht anfechtbar sein, wenn es nur die Strafhöhe angreift. Hintergrund soll sein, dass die Strafe einen Jugendlichen schnell erreichen soll. Grundlage ist das Gottvertrauen in einen Jugendrichter – denn der wird’s schon richten. Pustekuchen, sieht man ja an diesem Urteil. Aber das bringt uns in eine schlimme Situation, denn das Urteil ist schlecht angreifbar. Die Beledigungen sind eingeräumt worden, aber -und das rettet ihm letztlich alles- hat er vor dem Amtsgericht ausgesagt, die Beleidigungen hätten einer anderen Person gegolten.
Die Verteidigungsstrategie sah also wie folgt aus: Es muss weiterhin behauptet werden, dass mit den Beleidigungen eigentlich ein anderer gemeint ist. Mandant entschuldigt sich (übrigens aufrichtig) bei dem Geschädigten, der die Beleidigungen ja auf sich bezogen hat. Dann eine gute Figur vor Gericht machen und eventuell bringt das die Beteiligten dazu, dass man sich auf eine angemessene Strafe einigt, etwa Sozialstunden. Damit der Mandant die Berufung durch ein falsches Wort nicht unzulässig macht, muss er schweigen und ich rede; entschuldigen wird er sich natürlich selber. Ich werbe nachdrücklich für eine angemessene Sanktion und zerreisse das Ausgangsurteil mit deutlichen Worten als grob unverhältnismäßig, wofür ich bei der Richterin und den Schöffen sogar deutliche Zustimmung ernte. Allein, der Staatsanwalt ist der Auffassung, er werde sich nicht verbiegen lassen. Das Urteil wäre völlig in Ordnung, (angeblich) sauber begründet sowie gar nicht anfechtbar, wenn die Tat gestanden wird. Tiefes Durchatmen bei der Richterin und bei mir und auf entsprechende Frage: „Klar, es bleibt bei der Berufung“. Auf geht’s in die Zeugenvernehmung. Nur leider mit einem schlechten Gefühl, denn vermutlich wird die Beweisaufnahme die Anklage bestätigen und dann bleibt dem Gericht nichts anderes, als das harte Urteil der ersten Instanz zu bestätigen, auch wenn man gar nicht will. Revision ausgeschlossen. Danke, Herr Staatsanwalt.
Der Geschädigte wird daraufhin als erster Zeuge vernommen. Er bestätigt im Ergebnis den Anklagevorwurf. Ja, er sei beleidigt worden mit deutlichen Worten und ganz klar war auch er gezielt gemeint. Kein Vertun. Aber – er schildert „die Tat“ als durchaus harmlose Jugendverfehlung, lobt das Auftreten des Angeklagten im heutigen Termin und nimmt auch die Entschuldigung ausdrücklich an. Es wird überdeutlich, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wurde. „Noch Fragen?“ – Ja, hatte ich. Und zwar die Frage, ob der Zeuge mit Blick auf die Harmlosigkeit, die Entschuldigung und die drakonische Strafe sich vorstellen kann, seinen Strafantrag zurückzunehmen. „Ja, kann ich machen“. „Wirklich?“ „Ja“. Zurückgenommener Strafantrag bedeutet, dass das Verfahren vorbei ist. Bei einer Beleidigung kann auch kein Staatsanwalt der Welt mehr irgendwas konstruieren. Außer, dem Zeugen ins Gewissen zu reden, dass eine Strafantragsrücknahme teuer werden könnte, denn nach § 470 StPO zahlt der Strafantrags-Rücknehmer die Verfahrenskosten. Bevor der Staatsanwalt, der schon ansetzte, mit der Gebührenkeule zu kommen, unseren guten Plan zerstört, pochte ich auf mein Fragerecht und belehrte den Zeugen flugs selber. Erklärte, dass er zwar die Kosten tragen müsse, wenn er den Strafantrag zurücknimmt. Es aber die tolle und wenig bekannte Möglichkeit gibt, dass er die Rücknahme an die Bedingung knüpft, die Kosten nicht selber tragen zu müssen. „Ja, dann mache ich das so.“ Wir haben dann schnell erklärt, zur Übernahme der Verfahrenskosten bereit zu sein und aus war die Laube. Kein Arrest, noch nicht mal Sozialstunden gibt es. Das Verfahren muss eingestellt werden. Als „Strafe“ bleiben die Verfahrenskosten und -räusper- meine Rechnung. Richter und Schöffen und Verteidiger waren mit diesem gerechten Ergebnis zufrieden. Zurück bleibt ein ärgerlicher Staatsanwalt. Aber wer gute Angebote ausschlägt…