Tatort München, 10.11.2012, kurz nach Mittag.
Vor der Bundesligapartie Bayern München gegen Eintracht Frankfurt stellt der Veranstalter, der FC Bayern München, vor dem Einlassbereich für die Gastbesucher ominöse Zelte auf. Sie dienen dazu, voyeuristische Blicke Dritter abzuwenden. Denn in diese Zelte werden von den Ordnern selektierte Zuschauer des Fußballspiels gebeten, um diese einer Ganzkörperkontrolle zu unterziehen. Damit will der Verein verhindern, dass von Zuschauern „verbotenes Material“ in das Stadion geschmuggelt wird, zum Beispiel die berühmten bengalischen Feuer.
Wird man also von einem Ordner willkürlich als potentieller Schmuggler auserwählt, bedeutet dies: Ab ins Zelt, komplett ausziehen, sich begaffen lassen, wieder anziehen und mit einem herzlichen Gruß ab ins Stadion. Man könnte meinen, dass diese besondere Art der Sicherheitspolitik zu gewissen autoritären Tendenzen der CSU passt und daher zu dem FC Bayern, aber es ist leider nicht die Premiere solcher Methoden. Auch mein Verein hat sich leider in der Vergangenheit schon so benommen.
Wie sieht es aber nun rechtlich aus? Ist es dem Verein erlaubt, dass er seine Gäste/Kunden vor die Wahl stellen darf: Zieh Dich aus oder bleib zuhaus? Bei dieser Fragestellung denkt man zunächst unweigerlich an die Diskussion um den Einsatz sogenannter Körperscanner an Flughäfen, bei denen die Sicherheitsbeamten am Flughafen durch eine Art Röntgengerät den Körper sowie etwaige Gegenstände unter der Kleidung abbilden können. Die vehemente Diskussion um die Frage, ob hier der Menschenwürde des Fluggastes gegenüber der Abwehr eines fiktiven generalisierenden Terrorismusverdachts der Vorzug zu geben ist, wird auch in dem Fußballfall zu führen sein. Die Politik hat die Frage beim Terrorverdacht zugunsten der Menschenwürde beantwortet – im Augenblick werden Körperscanner nicht eingesetzt.
Kann eine Maßnahme, die bei der vermeintlichen Terrorabwehr (zurecht) verpönt ist, bei der Abwehr vermeintlicher Gefahr im Fußballstadion erlaubt sein? Zumal hier nicht der Körper lediglich gescannt wird, sondern „in Echt“ betrachtet wird? Während beim Körperscanner noch der verfassungsrechtliche Ansatz des Schutzes der Menschenwürde aus dem Grundgesetz rasch greift, ist die Sache beim Fußballspiel etwas verzwickter. Den es geht nicht um das Verhältnis Bürger – Staat, sondern um ein privatrechtliches Verhältnis zwischen den Bürgern. Und dort wirkt die Verfassung nicht unmittelbar, sondern allenfalls mittelbar.
Mit dem Kauf einer Eintrittskarte wird ein privatrechtlicher Vertrag zwischen dem Fußballverein, also hier dem FC Bayern und dem Zuschauer geschlossen. Dieser verpflichtet sich zur Zahlung des Kaufpreises und der Verein verpflichtet sich vertraglich, dem Zuschauer den Zutritt zu einem bestimmten Fußballspiel zu gewähren. Gleichzeitig erlässt der Verein sogenannte allgemeine Geschäftsbedingungen, die ebenfalls Bestandteil des Vertrages werden. Diese Bedingungen, wie etwa das Unterwerfen unter die Stadionordnung (Ziffer 5.3 in den Münchener AGB, Link nicht mehr verfügbar) und das Verbot, gefährliche Gegenstände mit in das Stadion zu transportieren, werden einseitig von Vereins- und Stadioneignerseite aufgestellt. Konkret gibt § 3 Abs. 2 der Stadionordnung das Recht zur Durchsuchung der Zuschauer. Nun unterliegen sowohl die einseitig aufgestellten AGB sowie deren konkrete Ausführung („Zieh! Dich! Aus!“) einer Inhaltskontrolle, die wiederum im BGB geregelt ist.
Ansatzpunkt dafür wäre womöglich § 307 BGB. Dann wäre zu prüfen, ob die Anweisung, sich zu Kontrollzwecken vollständig auszuziehen, den Zuschauer unangemessen benachteiligt. Wie man schon sieht – wie immer ist das eine Abwägungsfrage. Sollte sich jemand durchringen, diese Frage einmal von einem Richter oder einer Richterin prüfen zu lassen, dann wird es für die Beantwortung dieser Frage wohl darauf ankommen, ob diese Person dem Kreis der hysterischen Gewaltbeschwörungskoalition aus DFB, Vereinsoberen, Innenministern und Johannes B. Kerner zuspricht oder rechtsstaatliche Werte noch hochhält.
Für mich ist die Beantwortung dieser Frage sehr naheliegend: Natürlich geht es nicht an, zur Bekämpfung einiger weniger Pyromanen weite Teile der völlig normalen Fußballfanschar zu entwürdigen. Dabei ist auch egal, dass von Seiten des Vereins darauf hingewiesen wird, lediglich „Verdachtsfälle“ müssten sich dieser Prozedur unterziehen. Was soll das denn sein, diese Verdachtsfälle? Die üblichen Verdächtigen etwa? Althergebrachtes vermeintliches Polizeiwissen? Jemand, der gefährlich aussieht? Oder vielleicht doch in einer signiifikanten Anzahl attraktive junge Menschen, die man als Ordner gerne mal genauer betrachten möchte? Nein, all das geht nicht, denn es trifft nunmal zu 99,9% Unschuldige, die den Preis einer Entwürdigung zugunsten eines hysterischen Sicherheitsbedürfnisses zahlen sollen. Natürlich ist dem bayerischen Innenminister, dem Polizeipräsidenten von München und Johannes B. Kerner total egal, ob sich einige hundert Zuschauerinnen und Zuschauer, die ihrem Hobby nachgehen wollen, beschissen fühlen, weil sie sich vor wildfremden und vielleicht dabei die Klappe nicht halten könnenden Möchtegernsicherheitsleuten ausziehen müssen. Und die eigentliche Problematik wird dadurch auch nicht bekämpft. Mittel und Wege, etwas Verbotenes ins Stadion zu transportieren, gibt es mehr als genug. So wie Drogen durch Bewachungspersonal in die Knäste eingeschmuggelt wird, kann man auch alles Mögliche ins Stadion bringen. Das Aufstellen von Zelten zur Nacktkontrolle befriedigt daher allenfalls voyeuristische Ordner.
Man könnte fast meinen, nicht die Ultras wären um die 20 Jahre alt, sondern die Entscheider rund um DFB und Politik. Denn dann könnten sie nicht wissen, wie die Verhältnisse um und im Stadion noch in den 1980er Jahren waren und wie harmlos es heute zugeht. Ich jedenfalls, ich fühle mich sicher im Stadion. Und das ändert sich erst, wenn meine Menschenwürde von Sicherheitsleuten, reaktionären Politikern und dem DFB mit Füßen getreten wird. Kerner guck ich mir eh nicht mehr an.