Der Mandant sitzt in U-Haft und wird per Gefangenentransport zu seiner Verhandlung gebracht, wo ich schon auf ihn warte. Er ist recht aufgeregt, aber das nicht nur wegen der bevorstehenden Verhandlung. Denn er berichtet, unmittelbar vor dem Abtransport aus der JVA geschlagen und verletzt worden zu sein. Nicht von einem Gefangenen, sondern von einem Beamten. Im Wartebereich vor der Abfahrt des Sammelbusses habe er plötzlich von hinten einen Schlag gegen sein Ohr bekommen; seitdem schmerze das Ohr erheblich.
Wir sprechen die Sache in der Verhandlung, in der es nicht um Gewaltdelikte ging, an. Die Staatsanwältin notiert sich die Vorwürfe und leitet tatsächlich ein Verfahren gegen Unbekannt ein. Wir weisen darauf hin, dass es noch einen Mitgefangenen gibt, der die Vorfälle beobachtet hat und vielleicht Angaben dazu machen kann, wer der Täter war. Am Ende unserer Verhandlung wird der Haftbefehl gegen meinen Mandanten aufgehoben und er ist erstmal wieder ein freier Mann, der sofort zum Arzt geschickt wird.
Die Staatsanwaltschaft beauftragt wie üblich die Polizei mit den Ermittlungen. Diese sind allerdings recht zögerlich. Angezogene Handbremse wäre gar kein Ausdruck. Eine Nachfrage bei der JVA ergibt, dass diese angeblich nicht ermitteln könne, welcher Beamter vor der Abfahrt mit den Gefangenen zusammen gewesen sei. Und die Vernehmung des Zeugen könne nicht durchgeführt werden, denn dieser sei entlassen worden und ist danach nicht zur Vernehmung erschienen. Das Verfahren wegen „Körperverletzung im Amt“ scheitert also überraschend schnell – erstaunlich bei dem Strafvorwurf.
Auf meine Beschwerde bequemt sich die Polizei dann doch um eine Vernehmung des Zeugen. Dem Vernehmungsprotokoll kann man förmlich entnehmen, wie wenig Mühe man sich macht und wie absurd doch ein Vorwurf eines Gefangenen gegen einen Justizbeamten ist. Denn der Zeuge betont, aus nächster Nähe den grundlosen Schlag, der von hinten ausgeführt wurde, gesehen zu haben. Nur der Name des Beamten, den kenne er nicht. Er könne ihn aber beschreiben (1,70m-1,80m groß, Igelschnitt, arbeite überwiegend und mutmaßlich verantwortlich in der „Kammer“ der JVA (dort, wo die privaten Dinge der Insassen und deren Anstaltskleidung gelagert werden)). Dann liest man in dem Protokoll, dass der Zeuge zunächst zusammengefaltet wird („Sie stehen unter Wahrheitspflicht! Bleiben Sie wirklich bei Ihrer Aussage?“) und der Zeuge bejaht. Nun, natürlich ist es richtig, Zeugen davon abzuhalten, falsche Beschuldigungen aufzustellen. Nur ist es merkwürdig, dass man dies in den Fällen, in denen auch schwere Vorwürfe gegen normal Sterbliche erhoben werden, nur sehr selten liest. Also zurück zur JVA – diese kann immer noch nicht sagen, wer die Tat begangen haben könnte. Es werden drei Personen benannt, die in Frage kommen; deren Bilder werden dem Zeugen vorgelegt, aber dieser kann keinen der gezeigten Bilder dem Täter zuordnen. Das Verfahren wird wieder eingestellt.
Das ist schon alles recht ärgerlich. Denn letztlich überlässt man hier der JVA die Ermittlungen gegen die eigenen Leute, was nie besonders zielführend ist. Ob die JVA nicht doch sagen kann, wer zu der Zeit an dem Ort war, das weiß man nicht. Es würde aber verwundern, wenn dies nicht ginge. Die Polizei ermittelt nicht autonom, sondern überlässt die interne Aufklärung der JVA, die wiederum von außen nicht zu überprüfen ist. Mühe, den Sachverhalt aufzuklären, obwohl (oder gerade weil?) eine erhebliche Strafdrohung im Spiel ist, kann man nicht erkennen. Keine Beschlagnahme der Personalakten, wie es bei einem ähnlich gelagerten Vorwurf der Fall wäre. Oder man stelle sich nur den Ermittlungseifer vor, wenn ein Beamter von einem zunächst unbekannten Inhaftierten geschlagen worden wäre. Zweierlei Maß eben.
So bleibt dem Mandanten lediglich das Verfahren um die Gewährung einer Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz (§ 1 OEG). Dafür brauchen wir wenigstens keinen Täter namhaft zu machen.