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Falsches Urteil verkündet

By 23. Januar 2013Allgemein

Was nicht alles so bei Gericht passiert:

Schöffengericht. Die Beweisaufnahme gestaltet sich recht kurz, weil der Mandant ein Geständnis ablegt. Der Bewährungshelfer wird angehört und empfiehlt, keine Bewährung mehr auszusprechen, obwohl einige positive Ansätze des Mandanten unverkennbar seien. Die Staatsanwältin plädiert auf eine Strafe von 10 Monaten ohne Bewährung. Ich plädiere und stelle die wirklich unübersehbaren Fortschritte des Mandanten in den Mittelpunkt, die aus meiner Sicht doch eine Bewährung rechtfertigen würden. Das hohe Gericht zieht sich zur Beratung zurück.

Dann nach einiger Zeit die Urteilsverkündung. Alles bitte aufstehen. „Im Namen des Volkes wird der Angeklagte (…) zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung wird zur Bewährung ausgesetzt.“ Alle wieder hinsetzen. Mandant stupst mich an und flüstert fragend: „Was hab ich bekommen?“ – „Bewährung!“ – man hört ein angenehmes Insichzusammensacken an meiner Seite. Die Richterin begründet wie üblich zunächst, was man als Taten festgestellt habe und wieso es 10 Monate sein sollen. Ganz am Ende der Begründung heisst es dann „und deswegen konnten wir die Strafe leider nicht mehr zur Bewährung aussetzen.“ Mandant stupst wieder, aber ich schiebe ihn zurück, weil ich erst selber nachdenken und lauschen muss. Hatte ich Depp mich verhört und dem Mandanten gesagt, er habe Bewährung bekommen, obwohl es gar nicht stimmte? Ich blicke aber in allseits überraschte Gesichter, weshalb ich mich wohl nicht verhört hatte.

Nachdem die Richterin fertig war, frage ich höflich an, was der Mandant denn nun bekommen habe. Bewährung oder nicht? Irgendwie hätte ich da zwei verschiedene Dinge gehört. „Keine Bewährung.“ Oh. Hinweis darauf, dass man aber etwas anderes verkündet hat. „Ja, habe ich auch so gehört“, sagt die Staatsanwältin. Und auch die Schöffin 1: „Ich habe mich auch schon gewundert.“ Und dann sieht die Richterin auf ihr handschriftliches Urteil, bemerkt, dass sie auch schriftlich etwas anderes niedergelegt hat und streicht das einfach durch. Es ist ihr sichtlich unangenehm, sie räumt den Fehler ein und sagt nochmals, dass eine Strafe ohne Bewährung ausgesprochen werden sollte. Sie könne das ja jetzt noch machen, da wir uns noch in der Urteilsverkündung befänden. Ich entgegnete, da nicht so sicher zu sein, aber diese Frage aus dem Stehgreif auch nicht beantworten zu können, beantragte aber die Protokollierung dessen, dass zunächst ein anderes Urteil verkündet wurde. Das wurde mir bestätigt.

Inzwischen scheinen mir die Dinge so zu liegen: Die Urteilsverkündung war entgegen der Auffassung der Richterin schon vorbei. Zwar war die Rechtsmittelbelehrung noch nicht erfolgt. Aber laut Kommentierung zur StPO endet die Urteilsbegründung, während der eine Abänderung noch möglich gewesen wäre, mit dem letzten Wort der Begründung. Dieses letzte Wort der Begründung war aber schon gesprochen, denn als höflicher Mensch wartete ich dies natürlich ab. Nach Ende der Begründung ist es mit der Abänderung nicht mehr so einfach. Dann soll nur das korrigiert werden können, was „offensichtlich“ falsch sei. Und offensichtlich, dass es keine Bewährung geben sollte, war es nunmal nicht. Ich hatte mit guten Gründen etwas anderes beantragt. Und auch auf dem Zettel des schriftlichen Urteils stand etwas anderes. Könnte also schwierig werden. Und ganz davon ab: Eine förmliche Neuverkündung des Urteils, also in dem Sinne, dass alle nochmal brav aufstehen und das richtige Urteil verkündet wird, das gab es auch nicht.

Im Prinzip also gute Karten für eine spannende Anfechtung (falls nicht die Staatsanwaltschaft in Berufung geht und mir dadurch die Revision kaputt macht, aber diese Frist wäre inzwischen abgelaufen). Allein das Protokoll, das ich inzwischen habe, gefällt mir nicht. Dort steht, dass ein Urteil ohne Bewährung verkündet worden sei. Auf meinen Hinweis wurde lediglich noch ergänzt: „Während der Urteilsverkündung wurde darauf hingewiesen, dass eine Strafe ohne Bewährung ausgeprochen werden sollte.“ Das stimmt zwar streng formal so nicht, weswegen ich nun zunächst gegen das falsche Protokoll ankämpfen muss, aber dieser Satz würde auch keinen Sinn machen, wenn nicht vorher etwas ganz gehörig schief gelaufen sein muss.

Und so wird ein durchaus alltägliches Verfahren mit einer unerwarteten Wendung plötzlich höchst spannend…