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Im Falschaussagekarussel

By 25. Januar 2013Allgemein

Es gibt so nicht enden wollende Prozessgeschichten. Typischerweise beginnen diese mit einer normalen Autofahrt. Ständige (rein fiktive) Besetzung: Am Steuer Fahrer F und als Beifahrer der B. Hinter ihnen ein Polizeifahrzeug mit den gelangweilten Polizisten P1 und P2. An einer Kreuzung springt die Ampel um und F zieht durch. P1 und P2 sind sich sicher – es war rot. F wird angehalten und bekommt ein Bußgeld aufgebrummt. Er wehrt sich mit dem Einspruch und es kommt zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht.

F erklärt, dass die Ampel noch gelb war. Er ist sich keiner Schuld bewusst. Dann sagen P1 und P2 aus. Sie können sich noch bestens an diesen Fall erinnern und auch daran, dass die Ampel längst auf rot umgeschlagen war. Es gibt kein Vertun. Sonst hätte man den F auch nicht angehalten. Außerdem, daran erinnere man sich auch, war der F garstig, als man ihn anhielt.

Nun kommt der B als Entlastungszeuge ins Spiel. Wenn der Richter/die Richterin nicht schon eindringlich auf den F eingeredet hat, ob man wirklich und ernsthaft und überhaupt meine, dem B dies anzutun. Der F müsse überlegen, was für den B auf dem Spiel steht. Denn an der Aussage der P1 und P2 gebe es ja nichts zu rütteln. F möchte trotzdem rütteln, denn er ist schließlich nicht über rot gefahren. Also muss der B in den Zeugenstand und erzählt, was aus seiner Sicht passiert ist. Am Ende dann das Urteil: F wird wegen des erwiesenen Rotlichtverstoßes verurteilt. Die Aussagen der P1 und P2 sind glaubhaft, warum sollten die neutralen Polizeibeamten lügen. Ganz anders beim B, der hätte ja ein Motiv, seinen Freund zu entlasten.

Bei dem Urteil bleibt es aber nicht. Es kommt viel schlimmer: Der B wird nun der uneidlichen Falschaussage, § 153 StGB angeklagt. Ein Tatvorwurf, der (in der Mindeststrafe) schlimmer bestraft wird als eine normale Körperverletzung (§ 223 StGB). Zeugen in der heutigen Verhandlung: Die treuen P1 und P2. Und der F als Entlastungszeuge. Ich fasse mich kurz: Wegen der glaubhaften Aussagen der P1 und P2 vermag der F, der die Geschichte des B stützt, diesen nicht zu entlasten. Der B wird also verurteilt und gilt, wenn es nicht bei der Mindeststrafe bleibt, als vorbestraft.

Damit aber nicht genug: Es erfolgt die Anklage gegen den F. Diesmal nicht wegen eines Rotlichtverstoßes, diesmal wegen uneidlicher Falschaussage.  Man kann verstehen, dass es dem F und B nicht besser geht, als sie vor dem Hauptverhandlungssaal die P1 und P2 treffen.

Und so weiter, und so fort. Dieses Spiel endet erst dann, wenn eine der Parteien keine Lust mehr auf das Spiel hat – also wenn F oder B ein „Geständnis“ ablegen und dabei einräumen, die Unwahrheit gesagt zu haben oder andererseits die Staatsanwaltschaft nicht mehr anklagen möchte. Letzteres ist allerdings eher selten.

Die ganze Karusselfahrt ist allerdings spätestens dann nicht mehr lustig, wenn -bezogen auf das Beispiel- die Polizisten sich schlicht verguckt haben. Und die vermeintliche Falschaussage keine Falschaussage ist. Dass in einem solchen Fall die Justiz über ihre Schatten springt oder von früheren Aussagen Abstand genommen haben, ist kaum zu erwarten. Dann ist man als Betroffener in der schwer zu ertragenden Situation, ein falsches Geständnis abgeben zu müssen, um die Fahrt zu beenden.