Nach dem Prozess habe ich gesehen, dass ich schnell das Weite suchte. Die vier einzigen Zeugen waren Polizeibeamte, die natürlich zu Recht davon ausgingen, gute Karten zu haben, was die Verurteilung meines Mandanten anging. Da wollte ich nach dem Prozess nicht unnötigerweise in eine spontan angeordnete „allgemeine Verkehrskontrolle“ geraten.
Folgendes war nach den Aussagen der Polizisten passiert: Zwei von ihnen haben vor rund einem Jahr eine Laser-Geschwindigkeitsmessung durchgeführt. Da schossen drei Autos in die Gegenrichtung vorbei. Eines, das schnellste, versuchten sie zu messen und konnten innerorts deutlich über 100 km/h feststellen. Nur das Kennzeichen nicht. Man erkannte nur das Fahrzeugmodell und ein Kurzzeitkennzeichen, aber nicht die Ziffern. Einer der Messbeamten dachte sich, dass das doch die „üblichen getunten Karren“ seien, die doch mal auf diesem Schnellimbissparkplatz und mal auf jenem stehen. Also flugs die beiden anderen Zeugen mit der Beschreibung zu dem Burgerdiscounter geschickt.
Die beiden trafen dort nach ein paar Minuten ein und trafen drei Autos und drei Männer an. Die Autos standen fein säuberlich aufgereiht, die Männer posierten vor den Karren und machten Fotos. Ein Autotyp passte, der Wagen hatte auch ein Kurzzeitkennzeichen. „Wem gehört das?“ – „Mir„, sagte der Mandant. „Ihnen wird vorgeworfen, vorhin auf der xy-Strasse zu schnell gefahren zu sein.“ – „Kann nicht sein, das ist zwar mein Auto, aber da bin ich nicht lang gefahren.“ – „Papiere bitte!“
Ein paar Tage später flog der Bußgeldbescheid ein. Über 600€ Buße und drei Monate Fahrverbot. Auf unseren Einspruch kam es nach über einem Jahr nun zur Hauptverhandlung. Während der Mandant die Verhandlung über schwieg, beschrieb ein Polizist nach dem anderen, was er noch wußte, wobei die Richterin fleißig mitschrieb. Als der die Fahrzeugliebhaber befragende Polizist mit seiner Aussage fertig war, wurde die Geheimwaffe der Verteidigung gezückt: Denn von einer Belehrung über das Schweigerecht der drei Jungs war nicht die Rede. Die wäre meines Erachtens nach auch lebensfremd, wenn man sich die Situation vorstellt. Schließlich wollte man ja wissen, wem von den dreien, die um die Autos herumturtelten, genau dieses gehörte. Also widerprach ich flugs der Verwertung der Aussage des Polizisten. Das hat zur Folge, dass die Richterin bei ihrem Urteil davon ausgehen muss, dass der Mandant dem Polizisten gegenüber nichts gesagt hat. Schwierig, aber so funktioniert ein rechtsstaatliches Verfahren. Leider ist es nicht so, dass man schon im Vorfeld die Aussage eines Polizisten abbügeln kann, wenn dieser nicht belehrt hat. So wie es in amerikanischen Verfahren der Fall ist. Denn in den Köpfen ist natürlich die nicht verwertbare Aussage, was dazu führt, dass um jeden Preis die Verwertung irgendwie gerettet werden soll. Das versuchte die Richterin auch, die nach dem für sie überraschenden Widerspruch zweimal die Verhandlung unterbrach und verschwand und nochmals den Polizisten eindringlich befragte, ob er sich nicht doch noch an eine Vernehmung erinnere. Dieser dann sinngemäß: „Ich weiß noch nicht mal, ob ich oder der Kollege die Jungs befragt hat. Aber wenn, wie der Kollege sagt, ich das war, dann kann ich nur sagen: Ich belehre in 100% aller Fälle meine polizeilichen Gegenüber. Das mache ich regelmäßig und kann dann ausschließen, nicht belehrt zu haben.“ Sicherheitshalber fragte ich nochmals, ob er sich an eine konkrete Belehrung hier erinnern könnte, was ja nicht sein kann, wenn er sich an die Situation gar nicht erst recht erinnern kann. Nach einigem Hin und Her kam dann das „Nein“ hervor. Zum Glück, denn der Mandant sagte mir von Anfang an, dass es eine Belehrung nie gab.
Man merkte, wie ungern die Richterin den Freispruch verkündete und wie gereizt die Stimmung bei den Polizisten war, die allesamt bis zum Urteil geblieben waren. „Hätten Sie wenigstens die Belehrung in den Akten vermerkt. Das hätte mir gereicht. Aber so…“ wurde der Freispruch noch bedauert. Wollen wir mal hoffen, dass diese Aktenvermerke jetzt nicht automatisch eingeführt werden…