Da habe ich mir den Unmut der Kollegin zugezogen. Ich vertrat in einer Strafsache vor dem Landgericht den Nebenkläger, also den Geschädigten. Die Kollegin verteidigte ihren Mandanten während der gesamten Hauptverhandlung sehr engagiert. Anlässlich eines von ihr gestellten Beweisantrags auf Einholung eines (zweiten) Sachverständigengutachtens zu einem bestimmten Thema musste ich zu diesem Stellung nehmen. Ich beantragte, den Beweisantrag zurückzuweisen, da es aus meiner Sicht keinen Grund für ein zweites Gutachten gegeben hat. Dies vor allem, weil ein Zeuge sich nicht so geäußert hat, wie es die Verteidigerin in ihrem Beweisantrag behauptet hat.
Und darauf kam es dann auch letztlich an – nämlich, wie der Zeuge zuvor ausgesagt hat. Die Verteidigerin begründete ihren Antrag damit, der Zeuge habe ja eindeutig „A“ gesagt. Ich erwiderte, dass es zwar stimmt, dass er zunächst „A“ gesagt habe, im Verlaufe der weiteren Vernehmung aber das „A“ wieder eingeschränkt und ganz klar „B“ gesagt habe. Das hat er auch. Er hat dieses „B“ ganz eindeutig gesagt. Die Verteidigerin war erbost darüber, weil ich nach ihrer Ansicht die Dinge falsch darstellen würde. Ich kann ihren Unmut da sogar verstehen. Und ich verstehe sogar, warum sie der Auffassung war, dass der Zeuge gar nicht „B“ sagte. Denn die korrigierenden Aussagen sind bei der Befragung des Zeugen durch die Sachverständige gefallen, sogar mehrfach. Die Sachverständige saß neben mir, der ich als Nebenklägervertreter neben der Staatsanwältin saß. Die Verteidigerin -logisch- gegenüber. Im Augenblick der korrigierenden Aussagen schaute der Zeugin die ganze Zeit zu der Sachverständigen und sprach auch nicht besonders laut. Ich will also mal annehmen, dass die Verteidigerin dies akustisch gar nicht mitbekommen hat.
Aber das ist das alte Problem. Warum in Gottes Namen werden Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung gerade beim Landgericht nicht mindestens protokolliert, besser noch in einem Audiofile aufgezeichnet? Dadurch würden so viele Interpretationsprobleme entfallen und man müsste sich nicht mehr wundern, was angeblich so in einer Hauptverhandlung gesagt oder nicht gesagt worden ist. Vor allem die Urteile würden dadurch deutlich besser überprüfbar. Aber wir sind weit davon entfernt, dass Aussagen protokolliert oder gar aufgezeichnet werden. Besonders von Richterseite kommt erheblicher Widerstand gegen solche eine Maßnahme, so dass im Urteil fortan auch nur das stehen wird, was der Richter gehört haben will oder auch nicht. Mir fällt nicht wirklich ein Argument gegen eine Aufzeichnung der Hauptverhandlung ein, außer vielleicht jenes, dass auch im Fußball gegen den Videobeweis eingewandt wird: Dann dauert alles länger. Aber das ist mit Verlaub kein Argument, wenn es um gerechte Entscheidungen geht.