Nun hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Es bleibt bei den gesetzlichen Vorgaben zu dem Deal im Strafprozess (beschönigend „Verständigung“ genannt). Aber der Gesetzgeber soll aufpassen, dass die Richterinnen und Richter sich auch an das Verständigungsgesetz halten. Eine klassische „Ja, aber“-Entscheidung des Verfassungsgerichts.
In der Sache haben die Personen, die die Verfassungsbeschwerde eingelegt hatten, Erfolg. Ihre Urteile wurden aufgehoben und müssen neu verhandelt werden. In erster Linie, weil sich die Strafgerichte nicht an die Vorgaben, wie eine Verständigung zu funktionieren hat, gehalten haben. Allerdings sagt das Verfassungsgericht gleichzeitig, dass die Regelung an sich in Ordnung ist.
Mir scheint die die Idee hinter dieser Entscheidung richtig zu sein: Es gibt nun mal seit langer Zeit die Praxis, dass man vor Gericht einen Kuhhandel betreibt. Das wird man realistisch betrachtet auch nicht verhindern können.In vielen Fällen ist eine solche Verständigung schließlich auch recht unproblematisch. Wenn man aber schon vor Gericht dealt, dann aber bitte in einer vernünftigen, transparenten Form und nicht im Hinterzimmer des Gerichts. Das Verfassungsgericht hat sich bemüht, die Rechtswirklichkeit an den unteren Gerichten durch eine Studie aufzuklären und siehe da: Die Mehrheit der Befragten gab an, dass es die Regel sei, die Vorschriften eben nicht einzuhalten. Man spricht ab, dass der Angeklagte gestehen wird, spricht über die Höhe einer folgenden Strafe und darüber, dass keiner das Urteil anfechten werde. Wenn man sich dann vertraut, dann läuft es so und es gibt einen kurzen Prozess. Wozu dann alles formal durchziehen mit Belehrungspflichten und, und, und? Nun, das Problem fängt an, wenn der Angeklagte übertölpelt wurde. Wenn er etwa kein Vertrauen zu seinem Pflichtverteidiger hat, nicht durchsetzungs- und überzeugungsfähig ist. Vielleicht ja sogar unschuldig oder zumindest weniger schuldig als angeklagt. Dann hat er ein massives Problem. Oder wenn er -wie in einem der Ausgangsfälle vor dem Verfassungsgericht- regelrecht durch das Gericht bedroht wird: „Entweder, Du gehst 4 Jahre in den Knast. Oder Du gestehst, dann bekommst Du 2 Jahre auf Bewährung.“ Wer kann dazu schon nein sagen? Das Gericht jedenfalls nicht, denn was kümmert die Wahrheit, wenn man eine Aktenlage hat und man sich so viel „unnötige“ Arbeit vom Hals halten kann.
Dem Verfassungsgericht blieb eigentlich nicht viel übrig, als die gesetzliche Regelung zu halten und die Richterinnen und Richter aufzufordern, sich doch bitte ans Gesetz zu halten. Eigentlich ein starkes Stück, solch eine Aufforderung überhaupt aussprechen zu müssen. Das Verfassungsgericht sagt zu der jetzigen Situation folgendes:
Sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen hinwegsetzen und sollten die materiellen und prozeduralen Vorkehrungen des Verständigungsgesetzes nicht ausreichen, um das festgestellte Vollzugsdefizit zu beseitigen und dadurch die an eine Verständigung im Strafverfahren zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen, muss der Gesetzgeber der Fehlentwicklung durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken. (…) Unterbliebe dies, träte ein verfassungswidriger Zustand ein.
Ob es eine leere Drohung bleibt, bleibt abzuwarten. Gerne verpuffen solche abstrakten Androhungen bei den Untergerichten, wie eine Augsburger Amtsrichterin (EDIT: Würzburg, nicht Ausgburg) jüngst formulierte: Die in Karlsruhe haben keine Ahnung von der Praxis. Nun, diesen Stimmen wäre entgegenzuhalten: Ihr habt keine Ahnung vom Rechtsstaat.