Was musste man nicht alles lesen und hören rund um den ersten Verhandlungstag im NSU-Prozess. Scheinbar waren die Medien so enttäuscht davon, dass die Hauptangeklagte es gewagt hatte, zu schweigen und nicht mit einem „ich-bereue“-Schild in den Saal zu kommen, so dass die Berichterstattung sich im Wesentlichen auf die Haarfarbe und die Kleidung der Hauptangeklagten konzentrierte, zudem noch um ihr Kaugummi, das ganze garniert mit Spekulationen, wie jede ihrer Körperbewegung gezielt etwas ausdrücken sollte und auf die Spitze getrieben von bescheuerten Verschwörungstheorien rund um die Namen ihres Verteidigungsteams.
Da dieser Blog ja nicht nur der Unterhaltung, sondern selbstverständlich auch der Bildung seiner geschätzten Leserinnen und Leser dienen soll, beschäftige ich mich mit dem eigentlichen Kernthema des ersten Verhandlungstages: Den Befangenheitsanträgen.
Auch damit beschäftigten sich viele Medien, meist jedoch mit dem die Verteidiger verunglimpfenden Unterton, dass so etwas doch nicht sein müsse. Aussagen von einigen Nebenklagevertretern, dass dieses das Leid der Opfer nur vergrößern würde, kann ich nur entnehmen, dass diese entweder in ihrer Praxis mit Strafrecht nichts zu tun haben oder ihre MandantInnen im Vorfeld nicht genug auf diesen Prozess vorbereitet haben. Denn dass hier ein Befangenheitsantrag kommen würde und zwar auch mit diesem Inhalt, das war doch nun wirklich alles andere als eine Überraschung. Vor allem der Zeitpunkt des Antrages dürfte kaum den Verteidigern anzulasten sein, denn die StPO fordert gerade die sofortige Antragstellung. Nur wenige Minuten später und der Antrag wäre unzulässig gewesen (§ 25 StPO). Der große Vorsitzende dieses Prozesses hatte in einer seiner von Fingerspitzengefühl nur so wimmelnden vorbereitenden Verfügungen den Verteidigern auferlegt, sich körperlich durchsuchen lassen zu müssen. Das geht nun einmal gar nicht und das hat auch nichts, wie manche KommentatorInnen in Funk und Fernsehen meinen, mit der angeblich verletzten Eitelkeit der VerteidigerInnen zu tun. Natürlich würde es auch mich nicht nur persönlich belasten, körperlich durchsucht zu werden. Aber neben diesem physischen Akt steht doch die klare Aussage, dass den Anwältinnen und Anwälten mißtraut wird. Die Staatsanwälte, hier Bundesanwälte genannt, müssen sich nicht durchsuchen lassen. Auch nicht die Justizbediensteten. Von vermeintlicher Erpressbarkeit war die Rede, die dazu führen könne, dass die Verteidiger Waffen mit hineinschmuggeln könnten. So ein Unfug. Als wenn ein Justizbeamter nicht mindestens genauso erpressbar wäre oder eben eineR der Damen und Herren Bundesanwälte. Meine Mandanten im Knast berichten mir ständig, wie verbotene Dinge eingeschmuggelt werden und zwar zu 98% von Justizbeamten, die sich damit ein kleines Zubrot verdienen. Aber der Herr Vorsitzende nimmt lediglich die Verteidiger in seinen Verdacht auf.
Dies veranlasste die Verteidiger, ihn im Namen ihrer Mandantin wegen des Besorgnisses der Befangenheit abzulehnen. Man bringt damit zum Ausdruck, dass dieser Richter sich eben innerlich schon festgelegt haben könnte und es zumindest an seiner erforderlichen Unparteilichkeit fehlt. Das kann man zumindest diskutieren.
Über diesen Befangenheitsantrag entscheiden nun die selben Richter ohne ihren abgelehnten Kollegen. Natürlich werden sie den Befangenheitsantrag ablehnen. Erstaunlich oder nicht, aber es zieht niemand in Erwägung, dass der Prozess nicht mit dem selben Vorsitzenden in der kommenden Woche fortgesetzt wird. Warum? Weil Befangenheitsanträge -man kann sagen- immer abgelehnt werden. Was meines Erachtens auf einen Fehler im System hinweist, da es natürlich schon aus menschlichen Gründen schwer fällt, seinem Kollegen zu sagen, er habe den Anschein, nicht unparteiisch zu sein. Deshalb werden Befangenheitsanträge erst auf einer zweiten Ebene interessant, nämlich dem späteren Revisionsverfahren. Auch darauf wiesen einige Medien hin, dass die Befangenheitsanträge nur dazu dienten, die „Lufthoheit“ (was auch immer das sein soll) im Prozess zu bekommen oder, wie es ein Mitglied des Deutschen Richterbundes in einem Interview für den Deutschlandfunk ausdrückte, dass auch „die Anwälte mal zeigen wollen, was sie fachlich können“. Aus so einem Zitat spricht natürlich eine gewisse richterliche Überheblichkeit, die in ihrem eigenen Berufsstand keine fehlende Unparteilichkeit anerkennen wollen. Der selbe Interviewgast sprach zudem davon, dass die Anwälte eben mit solchen Anträgen Revisionsgründe schaffen wollten.
Nur: Das funktioniert in diesem Fall leider nicht. Normalerweise kann man einen abgelehnten Befangenheitsantrag mit der Revision angreifen. Kommt der BGH dann zu der (seltenen) Überzeugung, der Richter habe mitgewirkt, obwohl er tatsächlich den Anschein (mehr muss es nicht sein) der Befangenheit inne hatte, dann muss das Verfahren von vorne anfangen. Allerdings würde sich der BGH bei vielen Verhandlungstagen ganz sicher schwer tun, deshalb ein Urteil aufzuheben. Begründen kann man schließlich alles. Aber hier muss man gar nichts begründen, denn bei sogenannten Staatsschutzverfahren, die vor einem Oberlandesgericht beginnen, kann ein abgelehnter Befangenheitsantrag eben nicht mehr im Revisionsverfahren überprüft werden. Dies liegt an § 304 IV StPO und an der Systematik des Befangenheitsrechts. Für die Juristen unter den Leserinnen und Lesern: Das Rügen eines Befangenheitsantrags in der Revision ist dem Grunde nach eine Beschwerde und Beschlüsse des OLG sind nur in Ausnahmefällen, zu denen die Befangenheit nicht gehört, angreifbar. Das ist bedenklich, aber sowohl vom BGH (BGH 3 StR 251/06) als auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 45, 363) gedeckt. Der Gesetzgeber will damit sagen, dass er den OLG-Richtern soviel juristische Kompetenz zuspricht, die annehmen lässt, sie werden schon richtig entscheiden. Dass die Entscheidung über Befangenheitsanträge, wie schon ausgeführt, eine besondere menschliche Komponente besitzen und sich auch OLG-Richter hiervon nicht freimachen können dürften, steht mal wieder dahin. Die Ablehnung des Befangenheitsantrages ist also unanfechtbar und endgültig, es sei denn, die VerteidigerInnen denken über eine Verfassungsbeschwerde nach, die natürlich immer ginge, wenn etwas im Grunde unanfechtbar ist, was aber auch eine ungleich höhere Hürde bedeutet.
Der Befangenheitsantrag im NSU-Prozess bringt demnach nicht viel. Die Stellung aber verächtlich zu machen ist ein Ausdruck der Geringschätzung von Verteidigungsrechten, die, man muss es immer wieder betonen, auch Angeklagte haben, die man nicht ab kann. Man muss in dieser Situation schlicht und einfach die Gelegenheit haben, dem Vorsitzenden zu zeigen, dass es so nicht geht.