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‚tschuldigung

By 27. Mai 2013Allgemein

Wenn man einen Fehler gemacht und halbwegs gute Manieren hat, dann entschuldigt man sich bei seinem Gegenüber. Wenn es auch nicht eine Entschuldigungspflicht eines Täters gibt, so wird dies doch vorm Strafgericht ganz gerne gesehen beziehungsweise informell angekreidet, wenn kein Wort der Entschuldigung von der Anklagebank kam.

Aber wie hält es denn die Justiz selber? Entschuldigungen nach Freisprüchen oder Einstellungen des Verfahrens habe ich noch nicht erlebt. Die Strafjustiz ermittelt und verdächtigt, das ist ihre Aufgabe. Aber dabei macht sie mitunter Fehler. In etwa dreiviertel aller Ermittlungsverfahren werden eingestellt (Quelle). Ein Gutteil davon sicherlich wegen Geringfügigkeit. Aber nicht wenige Verfahren, weil gegen den oder die Falsche ermittelt worden ist. Rund 25% der Ermittlungsverfahren gelangen zur Anklage und auch hier endet ein -kleinerer- Teil der Verfahren mit Einstellungen oder Freisprüchen.

Wenn man sich gewahr wird, dass gegen sich selbst ermittelt wird, obwohl man nichts getan hat, dann ist dies schon eine erhebliche emotionale Belastung. Besonders dramatisch sind natürlich die Fälle, in denen entweder der Tatvorwurf als solcher höchst stigmatisierend ist, wie etwa bei dem Vorwurf eines Sexualdelikts oder bei dem im Falle eines Fehlurteils eine hohe Strafe droht. Und natürlich erst recht, wenn der vermeintliche Täter, der keiner ist, festgenommen und in Untersuchungshaft gesteckt wird.

Und diese Fälle, in denen sich die Justiz geradezu verrennt, weil sie ja immerhin einen sogenannten „dringenden Tatverdacht“ anzunehmen meint, der zur Untersuchungshaft berechtigt und in der sich der Verdacht später in Luft auflöst, die sind gar nicht einmal so selten. Dazu zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit:

Ein junger Mann wurde eines Raubüberfalls bezichtigt. Es ging um die typische Abzocke unter Jugendlichen, wobei das Abzockgut heutzutage in Zeiten von Smartphones nicht gerade geringwertig ist. Der Junge wird verdächtigt und in Haft genommen. Wir präsentieren Entlastungszeugen, die der Richter sogar zur Haftprüfung anhört. Die Zeugen entlasten ihn tatsächlich, allein, der Richter glaubt ihnen kein Wort. Droht jedem der Entlastungszeugen mit einem Falschaussageverfahren, lässt den Mandanten aber wegen der nunmehr fehlenden Verdunkelungsgefahr gegen Auflagen aus der Untersuchungshaft. Der „dringende Tatverdacht“ bestünde allerdings weiter. Bis sich dann endlich nach einigen Wochen der wahre Täter freiwillig bei der Polizei stellt. Offenbar gedrängt von seinen Eltern und unwissend über den Verdacht gegen unseren Mandanten. Entschuldigung seitens der Justiz? Fehlanzeige. Ein Brief mit der Mitteilung, das Verfahren sei eingestellt. Und ein paar Mark Entschädigung für die Haft. Heutzutage gibt es immerhin pro Tag Haft sage und schreibe 25€ (§ 7 StrEG).

In einem anderen Fall war schon der Vorwurf geeignet, den Ruf und das Familienleben vollends zu zerstören: Sexueller Mißbrauch an einem etwa 10-jährigen Kind. Mein Bauchgefühl, das Auftreten des Mandanten und die Umstände, dass er schon einmal von dem selben Kind zu Unrecht bezichtigt wurden, gaben mir das gute Gefühl dass an dem Vorwurf wieder nichts dran ist. Dennoch ermittelt die Staatsanwaltschaft über viele Monate. Klar, das muss sie bei einem solchen Vorwurf auch tun. Der Verdacht löst sich dann schlußendlich durch viel Glück auf. Über die Glaubhaftigkeit der kindlichen Aussage wird ein psychologisches Gutachten angefertigt. Daraus ist zu schlußfolgern, dass das Kind einen Mißbrauch möglicherweise tatsächlich erlebt hat. Die konkreten Schilderungen gegenüber der Psychologin entlasten aber den Mandanten: Das Kind schildert es als aus seiner Sicht besonders schlimm, dass der Täter auf dem Rücken stark behaart war. Der Mandant hingegen nachweislich kahl wie ein Kleinkind war und ist. Somit wurde auch das Verfahren mit einem einzeiligen Satz beendet.

Natürlich muss ermittelt werden. Aber es fehlt meines Erachtens das Gefühl der Ermittler dafür, was sie den (Falsch-)Beschuldigten zumuten. Wie oft habe ich in verzweifelte Gesichter schauen müssen, die ein gutes Ende herbeisehnten und den Tränen in unseren Besprechungen manchmal nicht nur nahe waren. Dann sind meiner bescheidenen Meinung nach Worte des Bedauerns angezeigt, wenn man realisiert, gegen den Falschen ermittelt zu haben. Ich kann mich an eine Fernseh-Talkshow erinnern, wo ein Justizopfer (der Name ist mir leider entfallen), der jahrelang unschuldig gesessen hat, zu Gast war ebenso wie einer der Richter, die ihn verurteilt hatten. Ob er sich denn heute entschuldigen wolle, wurde der Richter gefragt. „Nein“ war seine Antwort, denn ihn träfe keine „Schuld“, also gäbe es auch nichts zu entschuldigen. Dass das Wort „Entschuldigung“ jedoch zu den guten Manieren gehört und nicht juristisch ausgelegt werden will, ist dem Apparatschik offenbar fremd gewesen.