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„Das schaffen Sie nie“

By 13. September 2013Allgemein

Eine der wichtigsten Lehren des täglichen Anwaltsjobs ist: Nicht die Finger von unmöglichen Dingen lassen. Während ich im Referendariat in dem damals noch völlig stiefmütterlichen Teil der anwaltsspezifischen Ausbildung (eigentlich war alles nur eine Ausbildung aus Richtersicht) gelehrt bekam, dass der Rat an den Mandanten zu sein hat, die Finger von Sachen mit schlechten Chancen zu lassen, weil das nur kostet, lehrt einem die Realität etwas anderes. Besser, man sagt wie es oft ist, nämlich ein Glücksspiel, bei dem man mit guter anwaltlicher Tätigkeit das eigene Blatt etwas verbessern kann.

Dabei war der Fall, um den es heute geht, aus meiner Sicht gar nicht aussichtslos. Der Mandant sitzt im Knast, verurteilt zu vielen kleinen Strafen. Alles Diebstahl, alles beruhend auf der Schwerstabhängigkeit des Mandanten von Heroin. Leider ist auch eine Strafe dabei, die wiederum aus vielen einzelnen Strafen resultiert und die über zwei Jahren liegt. Zwei Jahre und drei Monate Knast. Insgesamt macht die Summe der Strafen etwa 6 Jahre aus. Darunter sind so gravierende Taten wie der Diebstahl von Milchmäusen (so steht es tatsächlich in der Anklage). Wie ich in diesem Blog schon gelegentlich erwähnte, haben abhängige Verurteilte unter bestimmten Voraussetzungen die Chance, durch eine stationäre Drogentherapie von etwa 6-9 Monaten ihrer Strafe zu entgehen (§ 35 BtmG). Eine dieser Voraussetzungen ist, dass die noch zu verbüßende Strafe nicht höher als zwei Jahre ist. Nun könnte man im Sinne des Mandanten denken: Gut, verbüßt er die ersten drei Monate und darf dann in die Therapie. Aber da macht man die Rechnung nicht mit der Vollzugsbürokratie. Denn nach den Regeln der Strafvollstreckung (§ 43 Strafvollstreckungsordnung) muss bei mehreren Strafen die höchste Strafe zuletzt verbüßt werden. Das würde in unserem Fall bedeuten, dass der Mandant erst einige Jahre warten muss, bis er die ersten drei Monate der höchsten Strafe absitzen kann. Was ziemlich unbefriedigend ist.

Also hole ich einen Antrag aus der Hüfte und stelle bei der Staatsanwaltschaft einen „Antrag auf Änderung der Vollstreckungsreihenfolge“. Ich will aus Gründen der Sinnhaftigkeit erreichen, dass der Mandant als erstes die höchste Strafe verbüßen kann, damit er schnell therapiert werden kann. Das ist aus meiner Sicht nicht nur das Beste für ihn, sondern auch für die Gesellschaft. Der für Drogenabhängige zuständige Sozialarbeiter macht mir in einem Telefonat keine Hoffnung. Er habe noch keinen Fall erlebt, in dem das geklappt hätte. Die Mühe könnten wir uns sparen. „Sollten Sie was erreichen, rufen Sie mich an.“ Ich sage ihm zwar, dass ich mich an einer Gerichtsentscheidung aus Hamm, das für diesen Knast auch zuständig wäre, orientiere, aber ernte nur Gelächter.

In der Tat passiert Wochen, sogar Monate nichts. Die Staatsanwaltschaften bearbeiten meinen Antrag nicht gerade mit Priorität, ich klopfe dennoch mehrfach mit Nachfragen an. Und in dieser Woche kommt die erfreuliche Nachricht: Ohne zu murren wird dem Antrag stattgegeben – auch bei der Staatsanwaltschaft erkennt man, dass das Ziel einer raschen Therapie sinnvoll ist. Und so kann es bald losgehen, man braucht nur noch ein paar versicherungsrechtliche und bürokratische Hürden zu überwinden, die jedoch niedrig sind und dann hoffen wir, dass die Therapie erfolgreich sein wird.

Ich freue mich auf das Gespräch mit dem Sozialarbeiter.