Vor vielen, vielen Jahren hat der Mandant eine langjährige Freiheitsstrafe bekommen. Er war beteiligt an einem Drogending größeren Volumens. Von der Strafe hatte er mehr als die Hälfte brav abgesessen und profitierte dann von einer Vorschrift, nach der man als Ausländer, der abgeschoben werden soll, schon nach der Hälfte der Strafverbüßung entlassen und sofort abgeschoben werden kann (§ 456a StPO). Die Vorschrift hat den Sinn und Zweck, öffentliche Kassen zu schonen, indem der Staat sich den Strafvollzug spart. Einen Anspruch auf Entlassung nach der Hälfte haben ausländische Inhaftierte allerdings nicht – die Entscheidung, ob nach der Hälfte abgeschoben werden kann oder nicht trifft die Staatsanwaltschaft nach Lust und Laune. Der juristische Fachterminus für „Lust und Laune“ lautet „pflichtgemäßes Ermessen“. Eine wirkliche Systematik, wann diese Halbstrafenabschiebung gemacht wird und wann nicht, vermag ich nicht zu erkennen. Irgendwie hat man den Eindruck, dass die Inhaftierten, die gerne abgeschoben werden möchten, nicht davon profitieren und diejenigen, die sich eigentlich gegen die Abschiebung zur Wehr setzen, auf einmal entlassen und abgeschoben werden. Aber das ist sicherlich nur mein subjektiver Eindruck.
Zurück zu dem Mandanten: Er war sicherlich froh, nach der Hälfte gehen zu dürfen. Sein Lebensmittelpunkt war woanders und er hat seitdem in seinem Heimatland eine (legale) Existenz sowie eine Familie gegründet – es geht ihm dort einigermaßen gut. Vor rund einem Jahr hatte er dann die nicht so gute Idee, für einige Tage Urlaub in Deutschland zu machen und alte Bekannte zu besuchen. Denn er hat nicht daran gedacht, dass er einerseits auf der Fahndungsliste der Staatsanwaltschaft steht. Nach dem Entlassungs- und Abschiebungsvorgang setzt die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl in die Welt, um die abgeschobenen Menschen vor einer Wiedereinreise nach Deutschland zu hindern. Tut man es doch, wird man verhaftet. Andererseits hat auch das Ausländeramt bei der Abschiebung eine Wiedereinreisesperre verhängt, so dass die an sich visumfreie Einreise verboten war und ebenfalls zur erneuten Abschiebung führt. Deutschland schottet sich ab.
Noch im Nachtzug von Italien kommend wird der Mandant in Bayern festgenommen und landet letztlich verzweifelt wieder in der Haftanstalt, aus der er viele Jahre zuvor entlassen worden war. Leider (aus unserer Sicht) waren die damaligen Belehrungen zumindest formal korrekt, so dass gegen die erneute Inhaftierung nichts durchgreifend einzuwenden war. Der Mandant hat es einfach nicht auf dem Schirm gehabt, dass er auch nicht vorübergehend Deutschland betreten durfte. Und so saß er ein knappes Jahr fernab der heimatlichen Existenz und seine Kinder warteten bis dato vergeblich auf ihn. Nun näherte sich allerdings der Zeitpunkt der sogenannten „Zweidrittel-Entlassung“. Er hatte sich im Strafvollzug einwandfrei geführt und konnte immerhin einen völlig geänderten Lebenswandel nachweisen, so dass nach einer entsprechenden Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer eine Entlassung nach Ablauf von insgesamt zwei Dritteln der verbüßten Haft beschlossen werden konnte. Der Mandant war überglücklich, als er von der Richterin erfuhr, dass er in rund einer Woche entlassen werden könne. Sie machte ihm in der Entscheidung zur Auflage, dass er das Land binnen Wochenfrist verlassen sollte. „Nichts lieber als das“ nahmen wir die Auflage gerne an.
Der große Tag der (erneuten) Haftentlassung sollte jedoch böse enden. Ausgestattet mit den Entlassungspapieren und mit guten Worten verabschiedet, warteten vor dem Gefängnistor Mitarbeiter des örtlichen Ausländeramts, um -man glaubt es kaum- den Mandanten festzunehmen und ihn in Abschiebeshaft zu entlassen. Abschiebehaft ist für die ausländischen Menschen gedacht, die abgeschoben werden und freiwillig nicht das Land verlassen. Einer Straftat haben sie sich in aller Regel nicht schuldig gemacht und werden trotzdem inhaftiert – so lange, bis die Abschiebeformalitäten erledigt, der Flug gebucht ist und das Flugzeug startet. Das kann schon einmal ein paar Wochen dauern. Allerdings war diese Maßnahme in unserem Fall aus mehererlei Gründen schlicht schikanös, denn einerseits hatte der Mandant die Auflage, das Land sofort zu verlassen und hätte bei einem Verstoß dagegen wieder weit über ein Jahr einsitzen müssen. Zum anderen gibt es die nachweisbare berufliche und familiäre Existenz außerhalb des Landes. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass dieser Mandant das Land sofort verlässt und nichts lieber als das sofort. Mit der sofortigen Ausreise war es aber zunächst nichts, weil das Ausländeramt ihn durch die absurde Festnahme an der sofortigen Ausreise hinderte.
Glücklicherweise müssen sich Ausländerämter diese Festnahmen richterlich bestätigen lassen und ebenso glücklicherweise fand auch die (neuerliche) Richterin, dass dieser Mandant wohl eher heute als morgen freiwillig geht und entschied gegen die Ausländerbehörde. Und somit findet die Geschichte dann doch noch ein glückliches Ende, wenngleich der unbedachte Urlaub des Mandanten ihm ein Jahr Lebenszeit gekostet hat…