Strafrecht soll nicht nur Sühne für begangenes Unrecht sein. Strafrecht soll nach seiner romantischen Auslegung auch ein bißchen dafür sorgen, dass der Verurteilte nach seiner Strafe möglichst keine neuen Straftaten mehr begeht. Und idealerweise nicht nur aus Furcht vor neuer Strafe, sondern aufgrund eines erfolgreichen Resozialisationsprozesses. Zugegeben – eine sehr romantische Vorstellung.
So habe ich neulich jemanden verteidigt, dessen -durchaus erhebliche- Straftaten vielleicht verhindert worden wären, wenn die Staatsanwaltschaft ein wenig mehr Fingerspitzengefühl an den Tag gelegt hätte. Zur Vorgeschichte: Der Mandant hat seit Jahren ein erhebliches Drogenproblem. Allerdings halte ich ihn für durchaus intelligent und generell sehr therapiewillig und -fähig. Es gab auch schon in der Vergangenheit erfolgreiche Drogentherapien und -leider- auch wieder einen Rückfall. Aber wie sagt man: Der Rückfall ist der Sucht immanent. Ohne die Rückfallgefahr wäre die Sucht keine Sucht. Das bedeutet allerdings auch, dass man drogenabhängigen Menschen dringend die Chance zugestehen muss, auch mehrere Therapien zu ermöglichen, um ihre Kraft im Kampf gegen das Suchtgefühl zu stärken.
Zuletzt hatte der Mandant ein reichliches Päckchen an Strafen gesammelt. Alles der übliche Beschaffungskriminalitätskram. Diebstahl und Co. Und dazu noch eine alte Geschichte wegen Fahrens ohne Führerschein und im Suff. Wegen all dieser Taten hatten wir uns um eine Therapie bemüht und die Zurückstellung beantragt. Das heisst, der Mandant muss nicht in Haft, sondern bekommt eine Bewährungschance, wenn die Therapie positiv verläuft. Das klappte auch alles, die Therapie verlief außerordentlich erfolgreich. Bis dann eines Tages die für die verkehrsrechtliche Tat verantwortliche Staatsanwaltschaft während der schon laufenden Therapie auf die Idee kam, die Strafe nicht durch die Therapie ersetzen zu wollen, da der Mandant während dieser Tat nicht „drauf“ war. Er hatte lediglich getrunken, aber keine Drogen im Blut gehabt und auch nicht gesagt, solche konsumiert zu haben. Da die Zustimmung der anderen Staatsanwaltschaften jedoch schon vorlag, befand sich der Mandant bereits in der Therapieeinrichtung. Unsere Staatsanwälte drohten jedoch nun mit der Inhaftierung. Wir durchschritten sämtliche Beschwerdemöglichkeiten zur Generalstaatsanwaltschaft und riefen das Oberlandesgericht an, aber die Justiz blieb hart. Man kann den Eindruck nicht loswerden, dass es hier einige Personen nicht verknusen konnten, dass der Mandant zwar reichlich Strafen angehäuft hatte (in der Summe bestimmt 4 Jahre) und nun gar nichts absitzen muss, wenn er die Therapie macht. Da kommt diese Inhaftierungschance doch ganz recht. Es gelang zwar, die Inhaftierung aus laufender Therapie hinaus zu verhindern, aber mehr wollte die Justiz nicht zugestehen. Auch der Hinweis darauf, dass es höchst kontraproduktiv ist, einen erfolgreich Therapierten durch eine Inhaftierung der maximalen Rückfallgefahr zuzuführen, verfing bei den Entscheidern nicht.
Und so kam es quasi voraussehbar zum tragischen erneuten Rückfall. Nicht erst in der Haft; der Mandant hat dem Druck einer bevorstehenden Inhaftierung nicht stand gehalten und griff vor dem Strafantritt wieder zu. Zwar wurde er nach wenigen Monaten wieder entlassen, allerdings wieder untherapiert und im Anschluss beging er wieder neue Taten, die sich nüchtern nie ereignet hätten. Nur leider diesmal etwas schwererer Natur.
Natürlich ist die Staatsanwaltschaft nicht „schuld“ an den neuerlichen Taten. Verantwortlich bleibt der Mandant. Aber dennoch – hätte man hier die Realitäten betrachtet und sei es im Gnadenweg, wäre möglicherweise schwererer Schaden verhindert worden. Nicht nur an den Geschädigten der neuen Taten. Sondern auch im Mandanten selbst.