Gibt’s eine neue Attraktion auf der Reeperbahn? Ja, neben den etablierten Theatern auf Hamburgs spannender Meile versucht sich nun die Laienspielgruppe der Davidwache unter der Leitung ihres Intendanten Innensenators Michael Neumann einen Namen zu machen. Ihr jüngstes Stück „Angriff von linken Chaoten auf die Davidwache“ könnte allerdings eher zu einem Flop werden.
Was ist passiert? In weiten, dicht bevölkerten Teilen Hamburgs, in den Stadtteilen Altona, St. Pauli und der Sternschanze gelten seit Anfang des Jahres notstandsähnliche Ausnahmeverordnungen, die es der Polizei erlauben, innerhalb dieser von ihr selbst benannten Zone Bürger, Anwohner, Arbeitnehmer und Touristen ohne einen besonderen Anlass zu schikanieren kontrollieren. Hiervon macht die Polizei auch regen Gebrauch.
Anlass für die Einführung eines sogenannten Gefahrengebiets nach Hamburger Polizeirecht war ein von der Polizei behaupteter Überfall auf die sogenannte Davidwache, also einer Polizeistation auf der Reeperbahn. Nach von der Boulevardpresse gierig aufgenommener Pressemitteilungen der Polizei habe es am 28.12.2013 einen „gezielten Angriff von 30-40 Linksautonomen auf die Davidwache“ gegeben, bei dem „Steine und Buttersäure“ auf die Wache geschmissen worden seien. Ein Polizist sei verletzt worden, weitere aus der Wache zur Hilfe eilenden Kollegen ebenfalls attackiert worden. Die Angreifer seien allesamt unerkannt entkommen.
Tagelang geisterte diese Meldung nicht nur in der Boulevardpresse herum. Die Polizei bekam in der Folge endlich ein von ihr gewünschtes Instrument, um in der stetigen Hamburger Auseinandersetzung zwischen politischen AktivistInnen und der Polizei endlich ein Instrument an die Hand zu bekommen, mit dem man den „Gegner“ effektiv einschüchtern kann. Die Gefahrenzone wurde -zeitlich unbefristet und großräumig- eingerichtet und von ihr wird aktuell rege Gebrauch gemacht. Wer auch nur im Ansatz einer Person ähnlich sieht, die in das „Linkschaoten“-Beuteschema der Hamburger Polizei passt, muss sich kontrollieren lassen. Dafür sorgen nach Augenzeugenberichte derzeit im Gefahrengebiet stationierte massive Polizeikräfte. Freies Bewegen in einem Stadtteil ohne Polizeikontrolle ist somit für etliche Bürgerinnen und Bürger nicht mehr möglich. Manch einer verzichtet auf den Besuch in diesen Stadtteilen, wenn man es vermeiden kann. Ein erheblicher Eingriff in Bürgerrechte. Ein Hämatom für den Rechtsstaat.
Blöd ist nur: Es hat diesen Angriff auf die Davidwache nie gegeben. Einige Zeit nach der Veröffentlichung des angeblichen Angriffs meldete sich der Hamburger Anwalt Beuth (über den ich in diesem Blog schon einmal berichten durfte) zu Wort: Nach seinen Informationen habe es einen Angriff auf die Wache nicht gegeben. Und auch keine 30-40 Angreifer. Und auch keine Vermummten. Dann kommt die Sensation: Der Polizeisprecher räumt kleinlaut ein, dass einer seiner Beamten zwar verletzt worden sei. Es habe aber keinen Angriff auf die Wache gegeben. Tatsächlich habe sich ein Vorfall an einer rund 200 Meter entfernten Kreuzung abgespielt. Aber eben nicht die ursprüngliche Darstellung einer gezielten, verabredeten Attacke auf das Heiligtum der Polizei. Nach weiteren Augenzeugenberichten sei es mutmaßlich auch keine Attacke von „Linksautonomen“ gewesen, bei denen der Beamte verletzt wurde, sondern eine leider alltägliche Reeperbahnpöbelei von Leuten, die mitnichten vermummt waren.
Was soll das polizeiliche Lügenspiel also? Es wird doch niemand glauben wollen, dass der Polizeisprecher sich einfach geirrt hat, als er den erfundenen Angriff der Öffentlichkeit präsentiert hat. So schlimm die Verletzung eines Polizeibeamten natürlich auch sind, so gravierend unterschiedlich ist die Qualität der von der Polizeiführung dargestellten Ereignisse und dessen, was sich vermutlich wirklich ereignete. Es ist ein Unterschied, ob wir von einem „gezielten Angriff auf die Burg“ sprechen oder von einer (leider) alltäglichen Pöbelei. Man darf zumindest den Verdacht hegen, als wenn die verfälschende Darstellung dazu führen sollte, endlich das Instrument der Einrichtung eines Gefahrengebiets und die Unterstützung dafür in Volk, Politik und Boulevardpresse zu bekommen. Wenn man dann noch die Gerüchte berücksichtigt, die unter anderem von der Gruppe der Kritischen Polizisten in einer Pressemitteilung lanciert wurden, wonach die Gewalt anlässlich einer im Dezember 2013 in Hamburg stattgefundenen Demonstration um die „Rote Flora“ ebenfalls von der Polizei befeuert worden sein könnte, dann ergibt sich ein durchaus rundes Bild davon, was da in Hamburg zur Zeit passiert.
Jedenfalls stimmt was nicht in Hamburg und mir scheint, die Politik ist nicht wirklich gewillt, Kritik an ihrer Polizei aufzugreifen. Obwohl es den Anlass für die Einführung der notstandsähnlichen Verordnung gar nicht gegeben hat, bleibt es bei dem Gefahrengebiet. Vordergründig hat die Polizei also ihr Ziel erst einmal erreicht. Sie hat mehr Macht und die Bürger müssen eine Einschränkung ihrer Rechte dulden. Ob letztere sich das gefallen lassen, bleibt abzuwarten. Juristischer Protest wird ganz sicher folgen.