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Befangenheitsantrag in Weltrekordzeit

By 29. Januar 2014Allgemein

Alle paar Jahre beginnt eine sogenannte neue „Schöffenphase“. Schöffen, das sind die Menschen, die keine Juristen sind und den Richtern in größeren Strafsachen bei der Entscheidung helfen sollen. Ob ein Angeklagter verurteilt wird und falls ja, zu welcher Strafe, das entscheiden die Schöffen mit. Zumindest nach dem Gesetz. Mein Eindruck aus der Realität ist, dass die zumeist von Natur aus dominanten Richter den Weg bestimmen und die Schöffen das meist abnicken. Es mag Nuancen in der Strafhöhe geben, in denen die Richter den Schöffen manchmal nachgeben, aber im Wesentlichen dürften es die Richter und nicht die Schöffen sein, die das Wohl und Wehe der Sache bestimmen. Rein theoretisch könnten die Schöffen einen Richter/eine Richterin durchaus überstimmen. Ich kann mich in all den Jahren bewusst nur an eine Sache erinnern, die zudem nicht im Strafrecht, sondern im Sozialrecht spielte, bei der eine Richterin überstimmt wurde. Im Sozialrecht nennt man die Schöffen „ehrenamtliche Richter“ und stimmen genau so mit. Die Richterin wies mich seinerzeit auf die nach ihrer Sicht eindeutige Rechtslage hin und riet mehrfach dazu, die Klage zurückzunehmen. Ich beriet dies mit dem Mandanten und wir entschieden, die Klage fortzuführen, um in der Berufung unser Glück zu suchen. Wir nahmen die Klage nicht zurück. Nach der Beratung der Richter dann die Überraschung: Der Klage wurde stattgegeben. Und die Richterin begründete in ihrem Vortrag brav, warum ich denn recht hatte. Erstaunlicherweise ging auch die beklagte Behörde nicht in die Berufung und der Mandant bekam sein Geld. Nun ja, eine echte Ausnahme.

Schöffen amtieren einen bestimmten Turnus lang, ich glaube, so um die 4 Jahre. Manche machen dann noch eine Amtszeit mit und neue Schöffen kommen an die Gerichte. In der ersten richtigen Sitzung werden die Schöffen dann vereidigt; das heisst, sie schwören, immer das richtige zu tun, während alle sich im Saal erheben müssen. So auch in meiner Sitzung neulich. Eine Schöffin war neu und wurde vereidigt. Dann begann die Verhandlung gegen den Mandanten, die allein aus sechs verschiedenen Anklagen und rund 15 Vorwürfen bestand. Einige Kleinigkeiten dabei, aber auch etwas heftigere Vorwürfe. Als der Mandant sich zur Sache einlassen sollte, haben wir der Reihe nach entweder ein Geständnis abgegeben oder die Dinge in Abrede gestellt – immer so, wie es der Mandant in Erinnerung hatte. Dann kam man zum heftigsten Vorwurf, der wohl die Weichen stellen würde, ob es eine Haftstrafe mit oder ohne Bewährung setzen würde. Die beinhaltete eine angebliche schwere Attacke auf einen anderen nach einem versuchten Diebstahl. Bevor wir dazu was sagten, erklärte die Richterin „der Vollständigkeit halber“, dass die (neue) Schöffin ihr vorhin erzählt habe, mit dem vermeintlichen Opfer bekannt zu sein. Man besuche sich gelegentlich, interessiere sich für die von dem vermeintlichen Opfer erschaffene Kunst und trinke auch mal Wein zusammen.

Nun, das war der Zeitpunkt, die Dinge mit dem Mandanten neu zu beraten. Und wir entschieden uns für einen Befangenheitsantrag. Es zeichnete sich ab, dass in dem konkreten Vorwurf „Aussage gegen Aussage“ stehen würde. Einmal darf man raten, wessen Aussage die Schöffin in solch einer Situation den Vorzug geben würde. Selbst wenn es eigentlich die Richterin ist, die die Geschicke leitet, mag diese Sympathie aus Bekanntheit dann doch in der Summe durchschlagen. Zumindest ist dies nicht auszuschließen und so wurde die Schöffin nach nur 30 Minuten Amtszeit das erste Mal wegen einer möglichen Befangenheit abgelehnt. Das Gericht wollte die Situation noch retten, indem angeregt wurde, den einen Vorwurf abzutrennen und nur den Rest neu zu verhandeln, aber wir waren der Auffassung, dass der Vorwurf, einen guten Bekannten schwer attackiert zu haben, nicht gerade auch Sympathiepunkte hinsichtlich der restlichen Vorwürfe bringen würde und lehnten insgesamt ab.

Mir tut das ja auch irgendwie leid. Da ist die gute Schöffin gerade mal ein paar Minuten im Amt und ist auch noch so ehrlich, die Bekanntschaft zu dem Zeugen einzuräumen. Diese Ehrlichkeit schätze ich sogar sehr, aber letztlich ließ die Situation keine andere Wahl. Und somit dürfte es eine Ablehnung in Rekordzeit gewesen sein. Die gilt es erstmal zu schlagen…