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Führen Serienstrafverfahren zur Befangenheit?

By 29. August 2014März 23rd, 2023Allgemein

Zur Zeit laufen vor dem Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer zahlreiche Verfahren gegen verschiedene Schalkefans, denen vorgeworfen wird, beim Spiel gegen Eintracht Frankfurt Ende 2012 bengalische Fackeln entzündet und hochgehalten zu haben. Außerdem sei ein zuvor präsentiertes Protestbanner, mit dem auf ein ungerechtfertigtes Stadionverbot hingewiesen worden sei, in Brand gesetzt worden. Einige StadionbesucherInnen hätten Atemwegsbeschwerden davon getragen. Angeklagt wurden vor dem Schöffengericht(!) mehr als ein Dutzend Personen, denen die Staatsanwaltschaft  unter anderem gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung vorwirft.

Nun wird nicht etwa, wie man vielleicht vermuten könnte, allen Personen in einem Verfahren der Prozeß gemacht. Jeder einzelne ist seperat angeklagt worden. Das führt dazu, dass das Gericht an mehreren Tagen jeweils einige Prozesse angesetzt hat und dann immer wieder das selbe verhandelt. Meist an einem Tag pro Woche gibt es somit etwa vier verschiedene Verfahren mit einem fast identischen Sachverhalt. Verhandelt werden alle Verfahren (mit Ausnahme der Verfahren gegen Personen unter 21 Jahren) von einer Richterin, die an jeweils einem Tag auch die gleichen Schöffen bei sich hat.

Die Verfahren unterscheiden sich prinzipiell an einer Stelle, nämlich an der jeweiligen Identifikation des jeweiligen Angeklagten, wenn dieser nicht von sich aus eingeräumt haben sollte, einer der Fackelträger gewesen zu sein. Ansonsten ist der juristische Sachverhalt in allen Fällen nahezu identisch und auch in jedem Fall gleich umstritten. Denn abgesehen von der Frage, ob der Angeklagte xy tatsächlich derjenige ist, den die Polizei zu identifizieren geglaubt hat, kommt es auf die Beantwortung verschiedener Einzelfragen an, deren Beantwortung zur Frage der Schuld und der Strafhöhe unerlässlich ist.

Eine von mehreren solcher Fragen ist zum Beispiel, ob die Reste des ursprünglichen Protestbanners bewusst und absichtlich angezündet worden seien. Hierdurch ist es zu einer eigenen Rauchentwicklung gekommen sowie zu einer Sachbeschädigung. Die Staatsanwaltschaft hat die Absicht einfach mal frech behauptet. Und das Gericht geht auch davon aus: Man würde ja an der Schwenkbewegung der Bengalos erkennen, dass das Banner bewusst angezündet werden sollte. Nun ja, das halte ich aus bestimmten und noch im Verfahren zu benennenden Gründen für ziemlich abwegig. Die Gründe möchte ich an dieser Stelle nicht diskutieren, dennoch bin ich überzeugt davon, dass es sich um ein Versehen gehandelt hat. Aber wie dem auch sei, das Gericht hat sich (auch) insoweit schon festgelegt, in dem es die ersten Angeklagten in der vergangenen Woche zu relativ harten Strafen zwischen sechs und achtzehn Monaten (zur Bewährung) verurteilte. Die Presse stürzte sich geradezu auf diese Urteile und blies in das Horn der Stammtische, wonach ein Teil der Fußballfans sich eben nicht  benehmen könne und diese Strafen verdiene. Die Frage der Verhältnismäßigkeit wurde in den Presseberichten nicht diskutiert.

Eine Diskussion über die Frage des Vorliegens bestimmter Tatbestandsmerkmale scheint nun aber auch bei Gericht nicht mehr nötig zu sein. Gestern stieg ich in den Ring des Gerichtssaals und verteidigte einen der Angeklagten. Nachdem man sich das Video zu dem Vorfall anschaute und ein Polizeizeuge, ein sogenannter szenekundiger Beamter anhand von Fotos meinte, den Angeklagten identifizieren zu können, erlaubte ich mir die vorsichtige Frage, woher denn die Vergleichsfotos, die vor dem Spiel aufgenommen worden seien, denn herstammten. „Da haben wir den Anmarsch der Gruppe gefilmt.“ – „Aus welchem Anlass?“ – „Müssen Sie die Kollegen fragen.“ – „Es gab also keinen?“ – „Müssen Sie die Kollegen fragen.“ Nun ja, ich musste also formal der Verwertung der offenbar verdachtsunabhängig erstellten Videoprints widersprechen. Was den Staatsanwalt dazu veranlasste, uns mit einer sofortigen Hausdurchsuchung nach den auf den Bildern zu sehenden Klamotten zu bedrohen, da das ja aufgeklärt werden müsse. „Gefahr im Verzug“ läge vor. Was man scheinbar in den zwei Jahren verpasst hatte…

Als die Richterin den sogenannten szenekundigen Beamten dann zu der Frage des Inbrandsetzens befragen wollte, nutzte sie die Formulierung, dass man auf dem Video ja sehen könne, dass das Banner absichtlich in Brand gesetzt worden sei. Dies wunderte mich etwas und ließ mich einhaken. Ich fragte noch einmal nach, ob sie davon ausgehe, dass eine absichtliche Inbrandsetzung gegeben sei, was bejaht wurde. Wenn man nicht ohnehin davon ausgehen darf, dass ein Gericht, welches diese Frage schon im Sinne der Staatsanwaltschaft in den Vorprozessen gleichlautend beantwortet hat, auch diesmal zu der selben Antwort kommen wird, wurde dies durch diese Aussage doch sehr plastisch vorgeführt. Eine Diskussion über die Frage scheint unnötig zu sein; was brauchen wir Beweismittel, die das Gegenteil unter Beweis stellen, wenn das Gericht sich seine Meinung schon gebildet hat und sei es aufgrund der Vorprozesse. Um so ärgerlicher, weil die Auffassung des Gerichts einer absichtlichen Inbrandsetzung aus unserer Sicht eben sehr falsch ist. Wenn aber schon die Diskussion über diesen Punkt in einer Hauptverhandlung, in der ja „verhandelt“ werden soll, nicht möglich ist, muss der Angeklagte von einer Voreingenommenheit zu seinem Nachteil ausgehen. Wir lehnten die Richterin daher als befangen ab.

Noch während wir den Antrag niederschrieben, diskutierten Staatsanwalt und Richterin, um uns dann anschließend von der Stellung des Befangenheitsantrags abzubringen, was wir allerdings nicht zuließen. Der Antrag wurde gestellt. Er hat sich hier förmlich aufgedrängt. Auch der Kollege, der schon im Saal meiner Verhandlung saß und die nächste Serienverhandlung führen musste, stellte gleich zu Beginn seiner Verhandlung seinerseits einen eigenen Befangenheitsantrag unter Hinweis auf die getätigte Aussage. Mal schauen, ob die weiteren Angeklagten ebenfalls dieses Mittel in Erwägung ziehen.

Es wäre vielleicht doch sauberer gewesen, alle Personen in einem Verfahren anzuklagen und diese Bühne zu nutzen, alle Fragen über Schuld und Unschuld gemeinsam zu diskutieren. Hat sich ein Gericht einmal festgelegt, wird es diese Linie nicht mehr verlassen. Das ist menschlich, auch wenn der BGH immer wieder betont, ein Richter könne auch, wenn er die gleiche Sache schon einmal verhandelt hätte, „kraft seines Amtes“ die Dinge erneut würdigen und gegebenenfalls zu einem anderen Ergebnis kommen. Natürlich kann er. Macht er aber nicht. Es liegt in der Natur des Menschen, seine einmal gefällte Auffassung zu verteidigen. Richter sind nun einmal keine Übermenschen und können sich davon nicht frei machen. Daher halte ich diese Meinung für pure Theorie, die allenfalls ökonomischen Gesichtspunkten geschuldet ist.

So, wie es in diesem Serienverfahren läuft, läuft es meines Erachtens nach eben nicht richtig. Von der Linie überharter Bestrafungen und der jeweils gleichen Beantwortung von Einzelfragen im Prozess kommt immer der selbe Richter bzw. die selbe Richterin nicht umhin. Und je weiter man in der Reihe der zu verurteilenden hinten ansteht, desto weniger kann man verhindern. Denn was wäre, wenn wir nun das perfekte Beweismittel hätten, um ein wichtiges Tatbestandsmerkmal zum Kippen zu bringen (und ich glaube, wir haben welche)? Wenn das Gericht dann einsehen müsste, den zuerst Verurteilten unrecht getan zu haben? Ist es unter diesen Umständen offen für mein Beweismittel? Oder wird das Beweismittel unter der Prämisse bewertet „das kann nicht richtig sein“, denn das Eingestehen von Fehlern könnte dann fatal für die eigene Linie sein?

Nun muss ein anderer Richter über die Frage der Befangenheit entscheiden. Es geht dabei nicht um die Frage, ob die Richterin tatsächlich befangen ist. Es geht nur darum, ob aus Sicht des Angeklagten der Eindruck von Unvoreingenommenheit bestehen könnte. Und das ist meiner bescheidenen Meinung nach zweifelsfrei der Fall. Wir werden sehen, wer den Prozess zu Ende führt und ob wir fair angehört werden.

Obwohl Pressevertreter im Saal waren und eifrig mitschrieben, fand sich im Gegensatz zur Vorwoche leider kein Artikel in den üblich verdächtigen Presseorganen. Vielleicht passt das gestrige Ergebnis auch nicht ganz in den gewünschten Kontext. Schade eigentlich. Aber dafür gibt’s ja Blogs…