Manchmal kommt man sich bei Gericht so vor wie bei der von Monty Python dargestellten spanischen Inquisition („Confess!“). Ich verteidige einen Mandanten, der wegen eines Sexualdelikts zu sechs Jahren verurteilt wurde. Er kam erst nach seiner Bestrafung zu mir und bat mich um Hilfe. Er beteuerte und beteuert anhaltend seine Unschuld. Die ihm vorgeworfenen Taten selbst liegen schon lange Jahre zurück; alles soll sich im vergangenen Jahrhundert ereignet haben. Ungewöhnlich war bereits, dass der Mandant vor seinem Verfahren nicht in Untersuchungshaft genommen wurde. Das ist zwar auch nicht nötig gewesen, die Justiz ruft in vergleichbaren Fällen normalerweise immer „Fluchtgefahr“ – ob sie nun vorliegt oder nicht – und inhaftiert. Hier aber nicht. Wegen der bescheidenen Konstitution des Mandanten erfolgte auch nach der Verurteilung zunächst rund 2 Jahre lang kein Haftantritt. Und nochmals ungewöhnlich war dann die sofortige Verlegung in den offenen Strafvollzug. Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, dass die den Mandanten betreuenden Personen zumindest wegen seiner Konstitution Mitleid hatten; wenn nicht der ein oder andere auch seine Unschuld in Betracht zieht.
Nun stehen wir vor der Frage vorzeitiger Haftentlassung. Zwei Drittel der Strafe sind längst um. Schon einmal wurde ein Entlassungsantrag von der Strafvollstreckungskammer abgelehnt. Zwar liegt eine hervorragende Führung des Mandanten im Knast vor, er hat sich dort nie etwas zu schulden kommen lassen und hat regelmäßig Ausgänge. Aber er leugne die Tat, deshalb sei er nach wie vor gefährlich. Auf meinen Einwand, der Mandant habe, selbst wenn man die Taten als geschehen unterstellen muss, zumindest seit damals keine Straftaten mehr begangen, wurde nur die fehlende Tateinsicht entgegengehalten. Und dies, obwohl er lange Jahre in Freiheit gelebt hat und seit Beginn seiner Inhaftierung zumindest gelegentlich Ausgänge hat. Nie ist irgendetwas beanstandet worden; auch das soziale Umfeld kümmert sich nachhaltig um den Mandanten. Es hat aber nicht gereicht. Wer seine Tat nicht aufarbeite, stelle eine Gefahr dar.
Nun ist noch mehr Zeit ins Land gegangen und ein erneuter Antrag scheint wieder abgelehnt zu werden. Wieder interessiert nicht der Umstand, dass nunmehr 15 Jahre keine (neue) Straftat mehr begangen wurde (und davor übrigens auch keine). Dabei ist die zentrale Frage bei einer vorzeitigen Haftentlassung, ob die Person vermutlich neue Straftaten begehen könnte oder nicht.
Im Ergebnis bedeutet dies eine zusätzliche Strafe für das Leugnen einer Tat, die ein Gericht vormals festgestellt haben will. Spielt der Verurteilte das Spiel mit und räumt die Tat einfach mal ein, hat er es leichter. Unterstellt man, es würde sich tatsächlich um ein Fehlurteil handeln, dann ist diese zusätzliche Bestrafung natürlich der nächste Schlag ins Gesicht. Aber auch so ist eine klare Tendenz des Gerichts festzustellen, bei Tatvorwürfen dieser Art im Zweifel den Deckel drauf zu halten – ganz egal, dass allein die nachgewiesene Straflosigkeit der letzten 15 Jahre ein nachhaltiges Anzeichen dafür ist, dass auch in den nächsten 15 Jahren nichts passieren wird. Ausschließen kann man das natürlich nie, der Maßstab ist daher eine vernünftige Wahrscheinlichkeit. Die nur wegen einer vermeintlich fehlenden Einsicht in die vermeintliche Tat abzulehnen, greift zu kurz.
Selbstbelastungsfreiheit geht anders.