Gibt es Anklageschriften, die selbst beleidigend sind? Ich denke, eine ganze Menge. Aber dieses Exemplar beleidigt nicht die Angeklagte, sondern eine ganze Menge Menschen.
Die Angeklagte und ein anderer Mann hatten ziemlichen Stress. Man rief sich gegenseitig durchaus häufig an, legte wieder auf, sagte mal was und das ganze schön wechselseitig. Man bezeichnet solch ein Verhalten handelsüblich als „Kindergarten“, wobei diese Bezeichnung wie so oft streng genommen eine Beleidigung für den gemeinen Kindergarten ist. Jedenfalls ging der männliche Part zur Polizei, um sich über die dauernden Anrufe zu beschweren und wie der Zufall es so will, klingelt dort gerade sein Telefon. Statt des Angerufenen ging der Polizist ans Telefon und führte das Gespräch mit einer ihm unbekannten Dame. Auf die Frage, weshalb sie so oft anrufe, obwohl sie doch von ihm nichts wissen wolle, hieß es dann: „…weil der schwul ist„. Und legte auf.
Da war die Empörung natürlich groß bei unserem Nachgestellten, dem Polizisten und auch der Staatsanwaltschaft Essen. So groß, dass die vermeintliche Anruferin gleich mal wegen Beleidigung angeklagt wurde. Denn einen ehrbaren Gestalkten schwul zu nennen – das geht mal gar nicht.
Und so verhandelten wir heute tatsächlich diese Aufsehen erregende Anklage. Für die Mandantin führten wir ins Feld, dass -ganz abgesehen davon, dass sie selbst das gar nicht gesagt habe- das, was man ihr vorwirft, niemals eine Beleidigung sein kann. Einem Menschen eine bestimmte sexuelle Orientierung vorzuwerfen ist nicht beleidigend, sondern allenfalls eine Tatsachenbehauptung und somit wahr oder unwahr, aber eben kein Werturteil. Und schwul sein, ist nun mal nichts „Verächtlich machendes“, wie es § 186 StGB von einer üblen Nachrede anläßlich einer Tatsachenbehauptung verlangen würde. Im Gegenteil – allein die mit der Anklageschrift einhergehende Unterstellung, schwul zu sein könnte die Ehre eines Menschen herabwürdigen, ist prinzipiell ein Unding, aber scheinbar Auffassung der Staatsanwaltschaft in Essen.
Das Gericht hörte sich den Polizisten an, der natürlich nicht wissen konnte, mit wem er am anderen Ende der Leitung telefoniert hatte. Und somit kam es zum erwarteten Freispruch – allerdings mit der deutlichen Betonung darauf, dass auch das Amtsgericht Gladbeck nicht (mehr) davon ausgeht, dass es sich überhaupt um eine Beleidigung handeln könne. Der Staatsanwalt wollte zuvor noch auf eine Einstellung des Verfahrens (statt des Freispruchs) heraus mit der Ankündigung, seine Vorgesetzte sähe dies bestimmt anders und werde den Freispruch vielleicht anfechten. Ich lehnte dankend ab. Soll sie ruhig mal machen…