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Merkels falsche Entscheidung hilft Böhmermann

By 16. April 2016März 23rd, 2023Allgemein

Nach rund 41.904 Artikeln zum Thema Böhmermann nun also noch ein weiterer. In dem will ich skizzieren, warum die Entscheidung von Merkel, das Strafverfahren nach § 103 StGB zuzulassen, zwar politisch falsch ist, dem Beschuldigten Böhmermann aber aus verfahrenstaktischen Gründen dennoch in die Karten spielen kann.

Merkels Entscheidung

Eigentlich ja die Entscheidung der Bundesregierung, da die SPD aber ausnahmsweise mal die richtige Meinung vertreten haben soll, ist es tatsächlich die Entscheidung der Kanzlerin. Und diese Entscheidung ist rein politisch. Rechtliche Erwägungen haben bei der Entscheidungsfindung zwar eine Rolle zu spielen, aber eben nur eine von vielen Rollen. Letztlich muss man sich das so vorstellen, dass alle Argumente, die für und gegen die Strafverfolgungsermächtigung sprechen, in einen Topf geworfen und von der CDU (rechts rum) und von der SPD (völlig durcheinander rum) umgerührt werden und am Ende entscheidet der Geschmack dieses Eintopfs, wohin die Reise geht. An folgende Zutaten wird die Regierung gedacht haben:

  • Outsourcing der Flüchtlingsinternierung
  • Richter sollen die Entscheidung treffen (im Umkehrschluss, Merkel hält sich raus – Kanzlerinnenstyle)
  • Wie besänftigt man die AfD-Klientel?
  • Pressefreiheit, Kunstfreiheit, Meinungsfreiheit in der BRD
  • Pressefreiheit in der Türkei
  • Umgang mit Menschenrechten in der Türkei
  • Umgang mit Despoten
  • Diplomatische Beziehungen zur Türkei
  • es läuft sowieso schon ein Beleidigungsverfahren des Zieg Privatmannes Erdogan
  • und und und

Am Ende kommt dann eben die Entscheidung raus, die Frau Merkel verkündet hat. Ich halte sie für falsch, weil sie ein fatales Zeichen setzt, unsouverän ist und zeigt, wie man hier bereit ist, Freiheiten im Zuge einer Flüchtlingsvermeidungspolitik zu opfern. Aber sicher kann man die Entscheidung auch anders sehen – es ist am Ende eben eine politische.

Folgen für das Verfahren

Für das nun laufende Strafverfahren gegen Böhmermann bedeutet dies also, dass neben das bereits laufende Verfahren wegen „normaler“ Beleidigung nach § 185 StGB nun auch wegen § 103 StGB, also der Majestätsbeleidigung, ermittelt wird. Beide Vorschriften stehen zueinander in Tateinheit und die Majestätsbeleidigung dürfte die speziellere Norm sein, somit muss die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie Anklage wegen § 103 StGB erhebt oder nicht. § 185 StGB fällt somit quasi hinten rüber.

Der Unterschied in der Strafandrohung ist marginal. Im Falle einer Verurteilung droht Böhmermann nur eine Geldstrafe. Bezogen auf sein mutmaßliches Einkommen dann im vierstelligen, vielleicht im unteren fünfstelligen Bereich. Das Honorar seines Scherzeanwalts Dr. Witz dürfte sogar noch höher sein. Ist natürlich eine Hausnummer, aber aufgrund der extremen Popularität, die Böhmermann durch die Attacke von Erdogan generiert hat, dürfte er das mittelfristig in viel, viel Einkommen umwandeln.

Die Staatsanwaltschaft steht somit vor der Frage, ob Böhmermanns Vortrag im Gesamtkontext der Sendung eine Beleidigung darstellt oder von der Kunst- oder Meinungsfreiheit gedeckt ist. Die öffentliche Diskussion geht mir da ein bißchen zu kurz, denn die wenigsten Diskussionsteilnehmer haben scheinbar den gesamten redaktionellen Beitrag rund um das Gedicht gesehen. Um sich ein Bild zu machen, empfehle ich dringend, sich die gesamte Sendung bzw das anzuschauen, wie das Gedicht anmoderiert ist. Und schon sieht die Sache nämlich ganz anders aus. Nach meiner Meinung kann man gar nicht anders, als hier eine gerechtfertigte Wahrnehmung der Kunst- und Meinungsfreiheit anzunehmen. Alexander Thiele hat im Verfassungsblog diese Meinung vertreten, die ich zu 100% teilen kann.

Normalerweise müsste also auch ein Staatsanwalt zu dieser Auffassung gelangen. Dann müsste er entscheiden, das Strafverfahren einzustellen. Und genau an dieser Stelle wirkt sich die Entscheidung der Bundesregierung aus, wie ich finde, zugunsten von Böhmermann. Denn wenn nur die „normale“ Beleidigung im Rennen wäre, könnte Erdogan über seinen Anwalt die sogenannte Privatklage erheben. Er könnte also ohne die Staatsanwaltschaft eine eigene Strafklage beim Amtsgericht einreichen. Die Sache landet dann beim Amtsgericht und je nachdem, wen man da erwischt, kann man auch schon mal Pech haben. Dieser Richter wird massiv unter Druck stehen, denn die folgenden Juristengenerationen werden auf seine Entscheidung mit Argusaugen schauen. Es ist einfach ein spannender Fall. Dieser Richter könnte dann entweder verhandeln oder aber sagen, er lässt die Privatklage nicht zu, weil eine Verurteilung nicht zu erwarten wäre. Dagegen könnte Erdogans Anwalt nun Beschwerde einlegen und das Landgericht entscheidet dann endgültig darüber, ob verhandelt wird oder nicht.

Da wir nun aber über Majestätsbeleidigung reden, hat Erdogan nicht die Möglichkeit dieser Privatklage. Bei einer Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft könnte er Beschwerde einlegen, über die dann die Generalstaatsanwaltschaft entscheidet. Lehnt auch diese die Anklageerhebung ab, könnte Erdogan nur noch ein sogenanntes Klageerzwingungsverfahren durchführen, § 172 StPO. Das ist ein sehr, sehr, sehr schweres Unterfangen. Schon die Antragstellung ist außerordentlich schwierig und die allermeisten dieser Anträge werden von den Oberlandesgerichten, die darüber -schriftlich- zu entscheiden haben, als unzulässig abgelehnt. Es gibt wohl nur eine handvoll von Verfahren, die aufgrund einer Klageerzwingung durchgeführt werden. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Erdogans Anwalt das erfolgreich schafft.

Somit wäre dann Endstation, ohne das ein Amtsrichter dazwischenfunken kann. Kann durchaus von Vorteil sein, immer unterstellt, die Staatsanwaltschaft kommt nicht auf die Idee, die Kunst- und Meinungsfreiheit hinten runterfallen zu lassen. Denn wenn das so wäre, würde wohl aufgrund des überragenden öffentlichen Interesses vorm Landgericht verhandelt werden. An diesem Verfahren dürfte Erdogans Anwalt auch nicht ohne weiteres teilnehmen. Er wäre zwar theoretisch nebenklageberechtigt nach § 395 StPO. Dort in Absatz 3 heißt es aber, dass der vermeintlich Beleidigte nur dann an dem Verfahren als Nebenkläger teilnehmen darf, wenn die „Tatfolgen“ schwer waren. Ich glaube nicht, dass das so ist. Denn es bisweilen nicht bekannt, dass Erdogan aufgrund der Bezeichnung als Ziegenficker von seinen Buddies ausgegrenzt wurde oder sich gar in psychotherapeutische Behandlung begeben musste. Und eine normale Beleidigung rechtfertigt eben keine Nebenklageberechtigung. Gegen die Entscheidung des Gerichts hätte Erdogan somit keine eigenen Rechtsmittel. Er kann also nicht, wie sein Anwalt großspurig behauptet, „durch alle Instanzen gehen“.

Ich hoffe jedoch, dass sich Erdogans Anwalt die Zähne schon bei der Staatsanwaltschaft ausbeißt. Dann wäre der Gerechtigkeit sicherlich Genüge getan.

Eine andere Alternative wäre auch die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 StPO, also wegen geringer Schuld unter Aufrechterhaltung der Unschuldsvermutung. Wenn sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung darauf verständigen können, wäre das Verfahren auch ganz kurz und schmerzlos beendet, ohne dass Erdogans Anwalt was ausrichten könnte.

Böhmermann wird am Ende als großer Gewinner dastehen. Wird sicherlich eine harte Zeit sein im Moment, aber ich bin mir sicher, dass sich das, ganz im Sinne des Streisand-Effekts, auszahlen wird.

Und wenn die Spezialdemokraten mal die Füße hochkriegen würden, könnten sie Merkel auch langsam mal in die Geschichtsbücher schicken. Aber das ist ein anderes Thema.