Morgens, halb Zehn in Deutschland, auf Polizeiwache XY. Frau Polizistin P beißt gerade herzhaft in ihre Milchschnitte, als das Bürotelefon klingelt. Am anderen Ende meldet sich eine Computerstimme: „Dies ist eine Sprachnachricht von Rufnummer 01…….. Du bist eine dreckige F****, wenn ich Dich erwische, werde ich dir *******.“ Frau P ist empört, spricht mit ihrem Kollegen, als das Telefon erneut klingelt. Wieder die selbe Computerstimme: „Dies ist eine Sprachnachricht von Rufnummer 01…….. Man hat Dir wohl so richtig ins Gehirn gesch******, Du dummes Stück.“ Diesmal war man schnell genug, um die Ausgangsrufnummer zu notieren.
Im Verlaufe des Tages gingen noch rund ein Dutzend weiterer solcher Nachrichten auf dem Diensttelefon der Frau P ein. Inzwischen hörte eine Traube Polizisten den Beleidigungen des auf Lautsprecher gestellten Telefons zu.
Die Ermittlungen nahmen ihren Lauf. Da es sich um eine schwere Straftat handelt, wurde keine Zeit verschwendet und der Anschlussinhaber ermittelt. Es handelte sich um Mandanten M, der rund 60 km entfernt wohnt. Der Name M sagte der Frau P gar nichts. Dienstlich hatte sie mit ihm nie etwas zu tun gehabt. Außerdem hatte M keinerlei Vorstrafen. Schnell eine Hausdurchsuchung beantragen und bekommen und es dann dem Täter so richtig zeigen, was der Staat alles kann, wenn man einer seiner Repräsentanten so verunglimpft. Bei der Hausdurchsuchung trifft man sowohl auf den verdatterten M als auch auf sein Telefon, was sogleich mal den Besitzer wechselt.
Das Telefon wurde natürlich sofort auf verwertbare Spuren untersucht. Und siehe da, die Telefonnummer der Frau P findet sich im Kontaktverzeichnis. Allerdings nicht abgespeichert unter dem Namen von Frau P, sondern unter dem Namen einer mutmaßlichen (Ex-)Freundin F. M sagte bei seiner Vernehmung, dass er die Sprachnachricht nicht geschrieben hatte. Es kam aber zum Vorschein, dass es wohl eine kleine Auseinandersetzung zwischen M und F gab. Pikanterweise ist die Telefonnummer der F derjenigen der P relativ ähnlich. Wenn man ein paar Ziffern gegeneinander tauscht, hat man die Nummer der F in die der P umgewandelt. Und da die Polizistin P weder privat noch dienstlich jemals etwas mit M zu tun hatte, spricht vieles dafür, dass im Zweifel die F die Adressatin der leicht erregten Nachrichten sein sollte.
Die Staatsanwaltschaft kann aber Beleidigungen gegen Polizeibeamte unter keinen Umständen auf sich sitzen lassen und klagt -wie immer- so etwas beim Amtsgericht an. Vorgeworfen wurde dem M, mit in der Anklage zitierten und unappetitlichen Worten die „Polizeioberkommissarin P beleidigt zu haben.“
Die Verteidigung sagt natürlich: „Hat er nicht.“ Denn zum einen ist nicht nachgewiesen, wer die Beleidigungen tatsächlich in das Mobiltelefon des M geschrieben hat. Klar, es spricht viel für beziehungsweise gegen den M. Aber Zugang hatten tatsächlich auch andere Personen zu dem Gerät und man weiß ja nie, ob die nicht auch einen Beef mit der Dame F hatten. Wesentlicher ist aber folgender Gedanke: Selbst wenn der M der Autor der romantischen Zeilen war, dann wollte er sehr sicher nicht die P beleidigen. Er hätte sie dann zwar -objektiv- beleidigt. Aber um bestraft zu werden, braucht ein Täter auch Vorsatz, er müsste also seine Beleidigung gewollt haben. Und das hat er nicht. Wenn er aufgrund eines Tippfehlers eine andere Person beleidigt hat, dann wollte er diese Person gar nicht beleidigen. Er wollte dann eine andere Person beleidigen. Juristisch nennt man dies einen aberratio ictus, der dazu führt, keinen Vorsatz hinsichtlich der tatsächlich beleidigten Person zu haben, aber einen Vorsatz hinsichtlich einer versuchten Beleidigung gegenüber der anderen Person. Mandant M wäre also allenfalls strafbar wegen einer versuchten Beleidigung der F. Schönheitsfehler: Versuchte Beleidigungen sind nicht strafbar und somit kommen wir zu dem sehr gerechten Ergebnis, dass -selbst wenn M die Nachrichten geschrieben haben sollte- er freizusprechen ist.
Nun, das Gericht hat ihn freigesprochen. Recht so!